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Coronakrisen-Tagebuch

Zu guter Letzt: Inventur zwischen den Jahren

Kaum sind die ersehnten Feste Weihnachten und Silvester da, vergehen sie wie im Fluge, ehe wir uns versehen haben. So kann es einem auch beim Rückblick auf das ganze vergangene Jahr ergehen: Und schwupps ist es wieder vorbei.

Kaum sind die ersehnten Feste Weihnachten und Silvester da, vergehen sie wie im Fluge, ehe wir uns versehen haben. So kann es einem auch beim Rückblick auf das ganze vergangene Jahr ergehen: Und schwupps ist es wieder vorbei.

Von Frank Stößel, Würzburg

Frank Stößel will die „Zeit zwischen den Jahren“ nutzen, um Ordnung zu schaffen und lose Enden aus dem vergangenen Jahr zusammenzuführen. Foto: 123RF / pixelrobot

Während wir einen Tag manchmal schon am Abend loben können wie Adsche aus Büttenwarder mit seinem typischen Seufzer aus tiefstem Herzen „Ach, was war das doch heute wieder für ein schöner Tag!“, mag uns so ein herziger Spruch, bezogen auf das Corona-Jahr, nicht so leicht über die Lippen gehen. Eine Inventur zum Jahresende jedoch könnte helfen, Gelungenes Verpasstem gegenüber zu stellen, um trotz der Fährnisse des Lebens eine positive Jahresbilanz ziehen zu können. Das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen schon im Voraus.

Individuell und in Gemeinschaft halten wir um die Wintersonnenwende herum gerne Rückschau, traditionell während der Weihnachtstage, in den folgenden Tagen zwischen den Jahren und noch einmal festlich und besinnlich bis heiter von Silvester auf Neujahr. Im antiken Griechenland bezeichnete man die winterliche Sonnenwende als Heliostásion, d. h. Stillstand der Sonne, wie auch ihr Pendant im Sommer am 21. Juni.

Diese nicht einmal einen Wimpernschlag langen Augenblicke sind zu philosophischen Momenten in allen Kulturen der Menschheitsgeschichte geworden. Sie werden als Lichterfeste in allen Religionen und Regionen der Welt gefeiert; neben dem christlichen Weihnachtsfest gibt es das jüdische Chanukka- und das muslimische Mevlid-Kandili-Fest, das hinduistische Divali- und das buddhistische Pavaranafest, um nur einige zu nennen, die sich direkt oder indirekt mit der Lichtgeberin Sonne als Unbesiegbare beschäftigen, ähnlich wie das auch im Sol Invictus Kult der antiken römischen Mythologie geschah.

Anfang Februar ist es schon wieder eine volle Stunde länger hell

Als Gruppen haben wir das Innehalten beim „Stillstand der Sonne“ ritualisiert, als Individuen internalisiert und als Gesellschaften in der ganzen Welt kulturell, religiös und kommerziell institutionalisiert. Dabei beziehen wir uns global auf den gregorianischen Kalender, welcher sich an den astrophysikalischen Verhältnissen von Sonne und Erde zueinander orientiert. Seit dem 21. Dezember werden die Tage nach diesem international anerkannten Kalender wieder länger, bis es am 33. Tag des neuen Jahres zum 2. Februar schon um eine volle Stunde länger hell als dunkel sein wird.

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Dieser Tag, auch noch als Maria Lichtmess bekannt, war früher der Beginn des Bauernjahres. Knechte und Mägde verdingten sich aufs Neue. Ihre Herren freuten sich, wenn es hieß: „An Lichtmess könne die Herrn bei Tag ess.“

Um die nun stetig heller werdenden Tage herum haben auch die Bienen ihre Reinigungsflüge erledigt, vorausgesetzt der Tag hat sich so erwärmt, dass sie den Rückflug in ihren Bienenstock schaffen. Schneerose und Schneeglöckchen werben ganz in weiß um Besuch ihrer emsigen Partnerinnen zur Bestäubung. Sonnenwendzeiten beeinflussen unser Leben ähnlich wie das der Pflanzen und Tiere. Sie sind auch Räume, die wir gedanklich und emotional ganz individuell durchschreiten, entweder rückblickend auf Vergangenes, das wir zu Erfahrungen verarbeiten, um manches ruhen zu lassen, oder vorausblickend auf Künftiges, verbunden mit Hoffnungen auf das gute Leben.

„Das hört sich alles ganz gut an, aber was ist eigentlich mit deinen versprochenen Aufräumaktionen, welche du verschämt Inventur nennst, in beiden Kellern und im Arbeitszimmer, wo deine Bücher-, Schallplatten-, CD-, Foto- und Dokumentensammlungen der finalen Aussortierung harren?“, höre ich meine gute Hälfte spötteln, als sie gerade wieder einmal meine Gedanken liest. „Sie hätten eine Generalinventur einschließlich einer Entrümpelung nötiger als einen philosophischen Rückblick, nach dem alles beim Alten bliebe. Ich glaube du schreibst über Inventur, um dich vor ihrer Realisierung zu drücken.“ Wahrscheinlich ist das nicht ganz verkehrt, bekenne ich reumütig.

Es gibt ja immer noch soviel zu tun

Derart ertappt und nüchtern auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, nehme ich Platz am Schreibtisch und überfliege die schon zu meinem Geburtstag Anfang November erstellte To-do-Liste: Beide Keller aufräumen. Das ist bereits mit Hilfe meiner guten Hälfte so gut gelungen, dass ich dort unten gerne in Sachen herumstöbere, die bleiben durften. Doch die Vereinigung beider Keller zu einem Aufbewahrungsraum steht tatsächlich immer noch an.

Helfen könnte jetzt, Bücher, die ich aus der Bibliothek zum Recyceln im Keller zwischen gelagert habe, zum Wertstoff zu verfrachten. Oder soll ich doch noch a bisserl warten, bis eines der Enkel*innen dies oder das aus beiden Archiven meines sozio-kulturellen Lebens haben möchte, quasi zur Erinnerung an den guten alten Opi?

Nein, es braucht endlich Platz in der Wohnung für die Schallplatten aus dem Keller, welche ich für künftige Schellack-Wunsch-Konzert zu zweit oder mit alten Freunden bräuchte. Und während ich so über meiner Inventur- und Unbedingt-to-do-Liste grüble, fällt mir die Mappe mit den Unterlagen zu meiner Bestattungsvorsorge vor die Füße. Fast alles ist darin schon schriftlich niedergelegt und geregelt. Sogar das Geld für die dereinstige Feuerbestattung liegt auf einem Treuhandkonto. Unsere Kinder werden dankbar sein, dass wir ihnen so viel Arbeit abgenommen haben.

Nur die Entscheidungen, welche Musik gespielt werden soll, und ob eine Todesanzeige überhaupt oder so oder so aufgegeben werden soll, stehen noch an. Das müsste doch bis Jahresende zu schaffen sein! Und da dämmert es mir. Sogar um diese letzten Dinge habe ich mich auch noch die ganze Zeit herumgedrückt. Dabei muss ich doch nur festlegen, was ich jetzt zuerst anpacke: Keller und Arbeitszimmer entrümpeln oder die Bestattungsvorsorge in den zwei letzten Punkten vollenden. Beides sollte ich bis Silvester schaffen. Endlich habe ich die Lösung.

Ein Vorschuss an Dankbarkeit für mich

Ich entscheide mich und verspreche mir feierlich: Morgen früh, bevor wir uns zum Corona-mäßig geordneten Spaziergang mit unseren Kindern treffen, vollende ich die Bestattungsvorsorgevollmacht. Nach den Weihnachtsfeiertagen gebe ich sie beim Bestatter ab. Was wird mich das beruhigen, weil ich dann mit meiner guten Hälfte wieder auf Augenhöhe bin. Dann bin ich so frei und entrümple die vollgestopfte Bücherwand im Arbeitszimmer, anschließend das Regal im Keller Nummer 1. Am Dienstag fahre ich all das, was weg soll, zum Wertstoffhof.

Danach kehre ich in den endlich wieder lichten Keller Nummer 1 zurück. Ich sortiere dort drei Dutzend Langspielplatten aus meiner Sammlung aus und bringe sie hoch ins Arbeitszimmer und ordne sie in das ebenfalls lichte Regal ein. Dann bin ich jederzeit bereit für das erste Langspielplatten-Wunschkonzert, welches ich meiner Frau zu unserem 54. Hochzeitstag als Überraschung des Jahres schenken werde.

Denn „heuer schenken wir uns nichts, wir machen es uns einfach nur gemütlich, wenn du deine Inventur hinter dir hast“, lese ich die Gedanken meiner guten Hälfte, nachdem sie, über meine Schulter gebeugt, meinen Self-Schooling-Plan gelesen hat, den ich zuvor noch nüchtern Inventur nannte. „Klingt irgendwie cool“, grinst sie, „besonders, wenn dem auch Taten folgen.“ Das Wörtchen „endlich“ hat sie wohl als Vorschuss an Dankbarkeit versöhnlich verschluckt.

Dafür bin ich ihr wiederum so dankbar. Denn jetzt glaube ich selbst: Ich schaffe all das zu guter Letzt! Und schon höre ich meine gute Hälfte wieder fröhlich lästern: „Ja, wie so oft bis immer, wieder auf den letzten Drücker.“ Stimmt, würde ich sofort zugeben, „aber wenn, dann immerhin!“  Alles Gute, machen Sie es gut! Und bleiben Sie negativ, bleiben Sie gesund!

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