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Coronakrisen-Tagebuch

Kein Schwein ruft an! Oder etwa doch?

Liegt es an Corona, oder warum bleibt das Telefon unter der Woche immer öfter stumm? Frank Stößel über die Verflachung unserer Kommunikation und eine mögliche “Entklumpung” des Wochenendes.

Liegt es an Corona, oder warum bleibt das Telefon unter der Woche immer öfter stumm? Frank Stößel über die Verflachung unserer Kommunikation und eine mögliche „Entklumpung“ des Wochenendes.

Seit der Kaiserschmarrn im Café Nougat neben dem Rathaus uns in der letzten Zeit nicht mehr so zusagte, genießen wir im Restaurant Zum Goldenen Löwen gleich gegenüber Kaiserschmarrn der Extraklasse, wie man ihn vielleicht in Österreich bekommt. Das süße Geröstel wird dort mit einer ordentlichen Portion Rumrosinen und Mandelplättchen zubereitet. Die wahrlich impérissable (französisch: kaiserlich) Leckerei wird im Goldenen Löwen auch als Hauptmahlzeit in einer Eisenpfanne serviert. Unser Freund trinkt dazu gewöhnlich erst eine, noch eine und dann noch eine Tasse Kaffee, schwarz, ohne Milch und Zucker. Wir ziehen dem Kaffee einen grünen Darjeeling First Flush im Kännchen vor.

Zum Leidwesen unseres Freundes gibt es kein Apfelmus zu der süßen Verführung, dafür eine große Kugel Bourbon-Vanille-Eis mit reichlich Schlagobers (österreichisch: Schlagsahne). Diese Komposition vereint unsere unterschiedlichen Geschmäcker wieder. Bei der Erinnerung an diese Köstlichkeit läuft mir wie Iwan Petrowitsch Pawlows Hundi das Wasser derartig im Munde zusammen, dass es mich mit Macht zu jenem Sehnsuchtsort im Goldenen Löwen hin drängt.

Mit Frau und Freund nach Kaiserschmarrnhausen

Deshalb schlug ich meiner guten Hälfte gleich vor, alles liegen zulassen und mit mir umgehend nach Kaiserschmarrnhausen zu fahren, um uns einen Kaiser einzuverleiben, wie wir diesen Leckerbissen mit Wiener Singsang so gerne anzukündigen pflegen. „Das können wir doch nicht machen. Wenn unser Freund erfährt, dass wir hinter seinem Rücken dort waren, dann wird er sehr böse auf uns sein.“

Inzwischen hatte sich das verfluchte Corona-Virus rasch verbreitet, und wir konnten uns nicht mehr so spontan und auf die Schnelle zum Essen treffen. Also meldete ich uns nach einer E-Mail mit unserem Freund beim Löwenwirt zur Mittagszeit telefonisch an. Inzwischen sind wir dort als der Kaiserschmarrn-Stammtisch bekannt und werden stets am selben Tisch für sechs Personen platziert, halt nur zu dritt, wegen der Abstandsregel.

Nach unserem Festmahl machten wir uns zum Spaziergang auf, dieses Mal oberhalb des Flusses entlang der Felsengruppe. Wachen Auges dank Beglückung durch Kaiserschmarrn entdeckten wir dort drei im Grase hin gekuschelte Frühlingsenziane bei ihrer zweiten herbstlichen Blüte.

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Verklumptes Wochenende

Ein seltenes Glück: herbstlicher Frühlingsenzian.

Wie immer hatten wir nach so einem Hochgenuss auch gute Gespräche, zuerst ausgiebig über den Wissenschafts-Blog, mit welchem unser Freund für Aufklärung, gegen Verschwörungstheorien und Pseudoskeptizismus kämpft, dann über Gott und die Welt, und endlich auch über unser Wohlbefinden, über das unserer Kinder und Enkel und schließlich über die zunehmende räumliche und zeitliche Ferne von Familienangehörigen und Freunden. Solch ein Bedauern über das Auseinanderdriften von Kontakten, hörte sich aus dem Munde unseres Freundes dann ganz und gar nicht wissenschaftlich an, indem er das Problem so auf den Punkt brachte: „Die ganze Woche über ruft kein Schwein an, und am Wochenende klumpt‘s!“

Dem konnten wir nur mit lautem Lachen beim Wiedererkennen eines auch uns bekannten Zustandes zustimmen. Man kannte das ja aus Zeiten, als man noch berufstätig war, und da störte die Häufung gesellschaftlicher Kontakte am Wochenende eigentlich nicht so sehr. Man durfte ja noch wählerisch sein.

An Wochenenden nahm man sich a. C. (lateinisch: vor Corona) auch Zeit zum Entspannen durch Unternehmungen mit der Familie oder mit den Freunden. Jetzt im Ruhestand hat man immer Wochenende, Feiertag, Ferien, Urlaub, also alle Zeit der Welt, sich irgendwo zu treffen, jemanden einzuladen oder zu besuchen. Man rief einfach jemanden an oder nahm einen Anruf entgegen. Ist man heute auch entsprechend aktiv oder eher passiv, weil Corona herrscht?

Einem Bauchgefühl folgend verdichtet sich der Eindruck, dass sich vielleicht während der Corona bedingten Kontakteinschränkungen etwas gar nicht so Gutes im zwischenmenschlichen Verkehr vollzieht: die Verflachung einer loyalen Kontaktfrequenz, die sich im Gleichgewicht von Geben und Nehmen hält.

Folgt also, dem Eindruck unsers Freundes entsprechend, dem Nachlassen in der Verständigung von Angesicht zu Angesicht ein Nachlassen im Kontakthalten per Telefon nur unter der Woche? Geschieht nicht gerade jetzt in Zeiten digitalen Fortschritts in der Telekommunikation das Gegenteil über Whatsapp und Videoschaltung zu jeder Zeit und Tag und Nacht? Oder wird man dieser virtuellen Kontakte bald überdrüssig? Wenn dem so wäre, würde diese Entwicklung nicht die Redewendung bestätigen „Aus den Augen aus dem Sinn.“ und dann den Zusammenhalt untereinander gefährden?

Schreiben statt sprechen?

„Einmal andersherum gedacht“, fragte ich meine kluge Hälfte „sollte man nicht gerade jetzt beim Ausbleiben so vieler, wichtiger, direkter Kontakte wieder öfter zum Telefon greifen, damit es am Wochenende eben nicht klumpt und man nicht aufgibt, Initiative zu ergreifen für ein Gespräch mit Fragen und Auskünften zum beiderseitigen Wohlergehen.“ „Ja, das sollte man nicht nur eigentlich, sondern tatsächlich tun“, erhielt ich zur Antwort. Meine bessere Hälfte pflegt nämlich neuerdings die Kontakte mit ihrem Freundeskreis über Whatsapp in Schrift, Bild und Ton über die Woche gleichmäßig verteilt. „Deshalb klumpt es bei mir ja auch nicht.“

„Oh Schreck, es ist ja schon Mitte der Woche.“ „ Ja, du solltest unseren Freund anrufen, vielleicht mit dieser heiteren Eröffnung: Hallo mein Lieber, ich rufe an, damit es nicht heißt, kein Schwein ruft an, und damit es bei dir am Wochenende nicht wieder klumpt. Wie geht`s? Hast du schon was vor am Wochenende? Nein, gut, dann können wir ja gemeinsam wieder einmal dem Klumpen mit einem Kaiserschmarrn am kommenden Sonntag entfliehen.“

Das heitere Lachen unseres Freundes am anderen Ende der Leitung war uns Lohn genug für eine offensichtlich gelungene Entklumpung des baldigen Wochenendes.

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