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Weltweit werden Humanist*innen diskriminiert und verfolgt – weil sie öffentlich für ihren (Nicht-)Glauben einstehen, weil sie unbequeme Fragen stellen oder sich für andere Menschen einsetzen. Die Humanists International appellieren deshalb: #ProtectHumanistsAtRisk – schützt Humanist*innen in Gefahr!

 

Mit dem bloßen Appell allein ist es freilich nicht getan. Zum Welthumanistentag am 21. Juni haben die Humanists International (HI) deshalb eine gleichnamige Kampagne gestartet. Über deren Hintergründe und Ziele sprachen wir mit Emma Wadsworth-Jones, der „weltweit einzigen Vollzeit-Humanists-At-Risk-Koordinatorin“, wie es auf der Internetseite der HI nicht ohne Stolz heißt. Wadsworth-Jones arbeitet seit April für die HI in London und hat dort die Leitung des Projektes übernommen.

Die jetzige Kampagne #ProtectHumanistsAtRisk ist ja nicht die erste ihrer Art. Was kannst du mir über die Geschichte dieser Kampagne erzählen?

Emma Wadsworth-Jones: Nun, ihren Anfang nahm die Kampagne im Jahr 2017. Zum damaligen Zeitpunkt baten uns immer mehr Menschen um Hilfe, und darauf wollten wir natürlich irgendwie reagieren. Die Kampagne ist insofern unsere Antwort auf einen gestiegenen Bedarf, und wir haben sie seitdem jedes Jahr aufs Neue durchgeführt.

Wenn euch Menschen um Hilfe bitten, worum geht es dabei in der Regel?

Das unterscheidet sich von Fall zu Fall. Oft handelt es sich um Menschen, die unter sehr repressiven Systemen zu leiden und das Gefühl haben, dass sie sich öffentlich nicht als Humanist*in oder Atheist*in zu erkennen geben können. Oder dass sie nicht frei über ihren Nicht-Glauben sprechen können. Manche fürchten, sie könnten verfolgt oder der Blasphemie angeklagt werden, andere werden bedroht oder ganz offensichtlich diskriminiert.

Wenn diese Menschen sich nun an uns wenden, dann mit ganz unterschiedlichen Zielen und Hoffnungen. Der Eine möchte vielleicht umziehen – in eine andere Gegend oder in ein anderes Land – andere bitten uns um finanzielle Unterstützung, zum Beispiel weil sie sich verstecken müssen und nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Manchmal wollen sie öffentlich machen, in welcher Situation sie sich befinden, und manchmal geht es auch nur darum, sich mit Leuten auszutauschen, die ganz ähnlich denken wie sie selbst.

Emma Wadsworth-Jones koordiniert seit April die Kampagne #ProtectHumanistsAtRisk bei den Humanists International.

Wie hat sich denn die Zahl solcher Hilfsanfragen in den letzten drei Jahren entwickelt? Sind es mehr geworden?

Die Zahl ist einigen Schwankungen unterworfen, aber wenn wir die Entwicklung über eine längere Zeitspanne betrachten, dann sind es sicher mehr geworden, ja. Alleine in diesem Jahr haben uns schon 65 Anfragen erreicht, zwar nicht jeden Tag eine, aber doch mehrere pro Woche, und das ist schon ziemlich viel.

Warum und in welchem Ausmaß Humanist*innen verfolgt werden, wurde wissenschaftlich bisher kaum untersucht, deshalb können wir das nicht mit Sicherheit wissen, aber mir scheint, dass diese Verfolgung und die generelle politische Lage zusammenhängen. Regime wechseln, sie sind mal liberaler, dann wieder repressiv, und so schwankt auch die Zahl der verfolgten Humanist*innen. Alles in allem nimmt sie aber zu. In der Regel sind es ja genau die Länder, die ohnehin schon eine schlechte Menschenrechtsbilanz vorweisen, die Andersdenkende verfolgen – oder im Falle der Humanist*innen oft auch diejenigen, die als Erste kritische Fragen stellen. Wir werden nächste Woche einen Bericht vorstellen, der die Situation von Humanist*innen in acht verschiedenen Ländern schildert, und wir hoffen sehr, auch auf diesem Weg Bewusstsein zu schaffen und eine weitere Diskussion anzustoßen.

Was sagt uns nun die gestiegene Zahl von Anfragen? Ist die Welt in den letzten Jahren tatsächlich gefährlicher für Humanist*innen geworden oder kann es sein, dass nur mehr Leute euer Angebot kennen?

Schwer zu sagen. Je mehr eine Organisation wächst, je mehr Leute sich Kampagnen kümmern können, desto mehr Anfragen wirst du bekommen, ganz klar. Einfach weil die Menschen wissen, dass sie zu dir kommen können. Meine Erfahrung ist, dass Leute sozusagen die Botschaft verbreiten, wer einmal Hilfe erhalten hat, empfiehlt uns eben gerne auch anderen. Aber wir sehen schon eine zunehmende Intoleranz, und die Meinungsfreiheit wird stärker unterdrückt. Und das ist ja offensichtlich: Wenn du dich offen als derjenige ausleben willst, der du bist, dann wird das viel schwieriger, wenn die freie Rede beschnitten wird. Insgesamt hat sich die Lage meines Erachtens verschlechtert.

Wer sind eigentlich die Menschen, die zu euch kommen? Kann man sie beschreiben?

Ganz allgemein sind es Menschen, die nicht sie selbst sein dürfen. Die meisten Anfragen erhalten wir von Männern, die meisten von ihnen zwischen 20 und 50 Jahren alt. Viele von ihnen sind sozial engagiert und überdurchschnittlich stark in den sozialen Medien aktiv. Es wenden sich aber auch Frauen an uns, zum Beispiel weil sie zwangsverheiratet werden oder von ihnen ein bestimmtes Verhalten erwartet wird. Und dann gibt es ganz extreme Fälle wie aktuell den von Mubarak Bala, dem Präsidenten der Humanistischen Vereinigung von Nigeria. Bala ist derzeit in Haft, wir wissen aber nicht wo. Er hat keinen Kontakt, auch nicht zu seinem Anwalt, noch wurde überhaupt eine offizielle Klage gegen ihn erhoben. Dabei wurde er schon am 28. April verhaftet!

Mit Sorge verfolgen wir außerdem die Situation im Iran. Dort – wie in Saudi-Arabien übrigens auch – sind derzeit gleich mehrere Humanist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen inhaftiert, unter ihnen der Blogger Soheil Arabi oder die Autorin Golrokh Iraee. Nun wurde Iran allerdings schwer von der Corona-Krise getroffen. Es ist extrem gefährlich, auf engstem Raum mit anderen Menschen eingesperrt zu sein, zumal es nur einen beschränkten Zugang zu medizinischen Behandlungen gibt. Wir machen uns wirklich Sorgen.

Wie könntet ihr ihnen denn helfen?

Das hängt sehr vom Einzelfall ab. Im Falle von Mubarak Bala zum Beispiel ermutigen wir unsere Mitglieder dazu, öffentlich für ihn einzutreten, sich zum Beispiel bei Politiker*innen und Diplomat*innen für ihn einzusetzen, damit diese dann auch Druck auf die nigerianischen Behörden ausüben. Denn manche Länder geben so einem Druck ja nach. Und auch wenn internationale Solidarität nicht unbedingt zur Freilassung der betroffenen Personen führt, ist es doch so, dass es ihnen, eben weil eine internationale Gemeinschaft ihr Schicksal verfolgt und öffentlich macht, oft besser geht. Wenn auch hinter Gittern.

Diese Art von Campaigning ist das Eine. Vieles spielt sich aber auch im Hintergrund ab. Wir können finanzielle Unterstützung leisten – für Mubarak Bala zum Beispiel haben wir gerade Geld gesammelt, damit er seine Rechtskosten decken kann. Wir machen Eingaben bei Organen der Vereinten Nationen. Wir beraten bei Wohnortwechseln oder stellen den Kontakt zu anderen Organisationen her, die sich dann um einen solchen kümmern. Kurz: Es gibt eine Menge von Dingen, die wir tun können. Welche Mittel wir ergreifen, hängt letztlich aber auch von dem ab, was als hilfreich erachtet wird und was die Betroffenen sich wünschen.

Helfen Sie jetzt! Unterstützen Sie Humanist*innen in Gefahr mit einer Spende unter gofundme.com/protect-humanists-at-risk-2020. Übrigens: Auch Bekanntheit schützt. Verbreiten Sie die Neuigkeiten und berichten Sie über die Schicksale der Humanists at risk. Alle Informationen finden Sie hier.

Würdest du sagen, dass eure Arbeit in den letzten Jahren damit erfolgreich war?

Ja, auf jeden Fall! Speziell meine Arbeit ist ja eingebettet in ein viel größeres Netzwerk, das sich um den Schutz bedrohter Personen kümmert, und in diesem sind wir sehr erfolgreich. Wir sind es, weil alleine Solidarität zu erfahren schon eine unglaubliche Erleichterung sein kann. Und wir leisten ja Unterstützung, wir sind da in Stunden der Einsamkeit, wir hören zu, sammeln Spenden und helfen bei Umzügen. Natürlich sind unserer Arbeit Grenzen gesetzt, auch wir können nicht immer alles so machen, wie wir es uns wünschen würden, aber wir können definitiv den Unterschied im Leben eines Menschen ausmachen.

Wie stellt ihr eigentlich den Kontakt zu den Betroffenen üblicherweise her?

Der einfachste Weg ist sicher der über E-Mail. Wir haben die Adresse casework@humanists.international eingerichtet, an die man schreiben kann. Nun wissen wir, dass manche sich nicht wohl damit fühlen, über E-Mail zu kommunizieren. Das ist völlig in Ordnung, es gibt genügend andere sichere Kanäle, aber für den ersten Schritt ist es sicher nicht verkehrt, eine formlose E-Mail zu schreiben, und im Anschluss sich über Signal, Telegram oder dergleichen zu verständigen.

Da die Kampagne nun offiziell startet: Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Oder gibt es etwas, das du dir persönlich wünschst?

Ich selbst bin ja erst seit kurzem dabei. Zunächst einmal versuche ich Kontakt zu den Personen herzustellen, die wir in der Vergangenheit betreut haben. Ich versuche mir ein Bild von ihrer jetzigen Situation zu machen und ihnen Unterstützung zukommen zu lassen, falls sie welche benötigen. Dann würde ich gerne unsere Mitglieder besser kennenlernen. Und als große Träume: Ich würde mir wünschen, Mubarak Bala wäre wohlauf, frei und in Sicherheit, unsere iranischen Freund*innen und die Gefangenen in Saudi-Arabien kämen frei. Ich bezweifle, dass wir das alles und sofort erreichen werden. Aber wir werden weiter daran arbeiten.

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