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Die SPD will mehr Humanismus wagen
Ein Großteil der Menschen in Deutschland hat keinen Bezug zu einer Glaubensgemeinschaft. Mit dem „Arbeitskreis Säkularität und Humanismus“ bietet die SPD ihnen nun eine Plattform. Die Aufgaben sind gewaltig.
Ein Großteil der Menschen in Deutschland hat keinen Bezug zu einer Glaubensgemeinschaft. Mit dem „Arbeitskreis Säkularität und Humanismus“ bietet die SPD ihnen nun eine Plattform. Die Aufgaben sind gewaltig.
Von Michael Bauer, Vorstand der Humanistischen Vereinigung und Präsident der European Humanist Federation
Schon länger gibt es Arbeitskreise in der SPD, die sich um den Dialog mit Religionsgemeinschaften kümmern und deren Perspektiven in die sozialdemokratische Politik einbringen. Es ist an der Zeit, dies mit einem Arbeitskreis für die Belange der Menschen zu ergänzen, die ihr Leben ohne religiöse Bezüge gestalten – immerhin inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung.
Eine zentrale politische Vision der SPD
Unter dem Titel „AK Säkularität und Humanismus“ (AKSH) soll diese wichtige Arbeit nun aufgenommen werden. Zu tun gibt es für diese neue Kommunikationsplattform genug, und dabei geht es durchaus auch um große Fragen. Denn mehr Humanismus wagen – das betrifft die Grundfesten der Lebensüberzeugungen der Menschen, und es thematisiert eine zentrale, wenn nicht die zentrale politische Vision der SPD seit ihren Anfängen: ein freies, würdevolles Leben für alle in unserer Gesellschaft. Die Politik des Respekts und der Gerechtigkeit hat damit viel zu tun.
Worum kann es nun im Konkreten gehen? Einige Beispiele:
Humanismus betont die Freiheit des Menschen zu seinen eigenen Entscheidungen ebenso wie seine Fähigkeit zu und sein Bedürfnis nach Mitmenschlichkeit. Es ist eine große Chance für die Qualität der innerparteilichen Debatte, dass diese humanistische Perspektive darin nun nachhaltig gestärkt wird. Die aktuellen Themen und Fragestellungen dafür liegen auf der Hand. Wie gestalten wir die Arbeitswelt human? Wie bekämpfen wir Ausbeutung? Wie verteidigen und sichern wir die Würde der Menschen, auch gegen widerstrebende wirtschaftliche Interessen?
Zudem stehen wichtige ethische Grundsatzfragen, auch und gerade am Beginn und am Ende des Lebens, aktuell auf der politischen Tagesordnung. Wie weit geht die Freiheit, über das Ende des eigenen Lebens zu bestimmen? Wo hat sie Grenzen? Juristisch scheint die Antwort seit dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Suizidassistenz klar: Sehr weit. Aber die juristische Sichtweise erledigt nicht die politische Gestaltung. Gerade humanistische Organisationen können mit ihrer ethischen Expertise und auch mit ihren eigenen Beratungserfahrungen eine wichtige Perspektive einbringen.
Werte aus einer humanistischen Lebenseinstellung
Das Erstarken der extremen Rechten zeigt uns, dass die Akzeptanz der Werte, die unser Grundgesetz tragen, nicht mehr durchgängig selbstverständlich ist. Dem evangelischen Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde verdanken wir die griffige Formulierung, dass der Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren kann. Dies müsse die Zivilgesellschaft sicherstellen, und zuvorderst diejenigen Akteure, die sich die Wertebildung zur Aufgabe gemacht haben. Böckenförde sah seinerzeit hier vor allem die Kirchen. Aber nicht nur Religionsgemeinschaften können dies leisten.
In einer Gesellschaft, in der Religion eine immer geringere Rolle spielt, werden Organisationen bei dieser Aufgabe wichtiger, die ihre Werte aus einer nichtreligiösen, eben humanistischen Lebenseinstellung gewinnen. Bildung spielt hier eine bedeutende Rolle. Die Schulen sind einer der wichtigsten Orte, an denen das Fundament gelegt werden kann, auf dem unsere liberale Grundordnung aufbaut. Wie also können wir erreichen, dass die Werte der Freiheit und der Solidarität vermittelt, gestärkt und gelebt werden? Der Mehrwert des AKSH wird darin bestehen, diese Frage auf der Grundlage einer humanistisch grundierten Ethik zu beantworten.
Eine internationale Dimension der Solidarität
Wir dürfen bei all dem aber nicht vergessen, dass es ein großes Privileg ist, frei und ohne Repressionen zu befürchten überhaupt solche Fragen stellen zu dürfen. Dieses Privileg wurde in Deutschland mühsam erkämpft. In vielen Ländern der Welt besteht es bis heute nicht, bis zur Verwirklichung der Menschenrechte ist es dort oft noch ein weiter Weg. Offen seine Überzeugungen auszusprechen, kann dort lebensgefährlich sein.
Viele humanistische und säkulare Menschenrechtsverteidiger*innen sind gezwungen, sich vor fanatischen Mördern zu verstecken, sind unter lächerlichen Anklagen eingekerkert oder von abscheulichen Gerichten zum Tode verurteilt. Manchmal hat es dafür schon gereicht, sachte Zweifel an religiösen Dogmen zu äußern. Auch dieser internationalen Dimension der Solidarität sollte der neue AKSH einen Raum geben.
Unser Zusammenhalt unter Druck
Wir leben in einer Zeit von nahezu beispiellosen Krisen. Nach der Covid-Katastrophe sind wir jetzt mit einer weiteren, existenziellen Herausforderung für unseren europäischen Way of Life konfrontiert. Drohender wirtschaftlicher Niedergang, Unsicherheiten bei der Energieversorgung, vielleicht sogar ein militärischer Konflikt – das alles setzt unsere Gesellschaft und unseren Zusammenhalt unter Druck. Auch unter schweren Bedingungen Kurs zu halten, Krisen zu bewältigen und trotz aller Schwierigkeiten Sinn zu finden: das sind gleichsam die natürlichen Aufgaben von religiösen und ebenso von humanistischen Gemeinschaften. Als Kommunikationsscharnier mit ihnen wird der AKSH diese dringend benötigten Kernkompetenzen auch im politischen Diskurs fruchtbar machen können.
Der Katalog von Aufgaben ließe sich noch lange fortsetzen, und bei nicht wenigen werden auch religiöse Akteur*innen gute Partner*innen sein. Dem jüngsten AK der SPD wird die Arbeit gewiss nicht ausgehen. Von Herzen viel Erfolg dabei!