Coronakrisen-Tagebuch
Konversion im Denken, Mitfühlen und Handeln
Wie stets bei Katastrophen sind wir Menschen aufgefordert, Lehren aus der Konfrontation mit Kräften zu ziehen, die wir nicht im Griff haben, und die unser gewohntes Leben von jetzt auf nachher auf den Kopf stellen.
Von Frank Stößel
Wie stets bei Katastrophen sind wir Menschen aufgefordert, Lehren aus der Konfrontation mit Kräften zu ziehen, die wir nicht im Griff haben, und die unser gewohntes Leben von jetzt auf nachher auf den Kopf stellen. Das gilt besonders für den aktuellen Zustand in der Welt, den wir als Corona-Krise bezeichnen. Wir betrachten Krise als Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt, und die wir, wie so oft in der Menschheitsgeschichte, irgendwie schon meistern werden. Die planetarisch um sich greifende Covid19-Pandemie ist eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, wie sie bislang Kriege mit Hungersnot, Krankheit und Armut nach sich zogen. So ist die Corona-Katastrophe auch ein Naturereignis mit verheerenden Folgen.
In Talkshows und Leitartikeln wird ihr dennoch Hoffnung auf Umkehr in unserem Denken, Mitfühlen und Handeln zugesprochen. Einsichten beispielsweise in der bedrohlichen Atompolitik oder in der nicht minder gefährlichen Klima- und Energiepolitik zwingen uns seit langem zu Umkehr mit Vernunft und Maß.
Doch immer wieder verfallen wir nach vermeintlicher Bewältigung regionaler Katastrophen in Bequemlichkeit und lassen vieles beim Alten. Betrachten wir unser zerbrechliches Leben durch die Corona-Brille, können wir erkennen, vor welch einem Scherbenhaufen der Lebenspolitik wir längst in bald jeder Ecke der Welt stehen. Hier nun alle Scherben der Reihe nach in ihrem jeweiligen Zusammenhang zu sortieren, reicht der Platz gar nicht aus.
Daher greife ich ein Erlebnis heraus, welches ich kürzlich bei einer Corona-Wanderung in der Natur und in Erinnerung an den jüngst vorgelegten European Green Deal 2050 hatte. Als ich an einem alten Bauernhof vorbeikam, entdeckte ich auf der grasgrün saftigen Wiese sieben Charolais-Rinder einträchtig beim Grasen. Da erinnerte ich mich an Kuhherden, die ich bei früheren Begegnungen in den Alpen, im Bayerwald und in Franken mit dem Spiel auf meiner Mundharmonika beglückte. So tat ich es nun auch für die freundlichen vierbeinigen Blondinen. Schon beim ersten Akkord kamen sie mir am Elektrozaun entgegen, lauschten einträchtig und äußerst interessiert meinen Melodien.
Ein Bauer aus der Milchwirtschaft, dem ich davon erzählte, tat das als Unsinn ab mit der Erklärung, die Kühe seien nur näher gekommen, weil sie glaubten, es sei Zeit zum Melken. Doch in dem geschilderten Falle handelte es sich um Färsen, also junge Kühe, gar keine Milch geben konnten, weil sie bisher weder natürlich besprungen noch künstlich besamt sein konnten.
Für mich war wieder einmal klar: Rinder sind keine dummen Kühe und keine blöden Ochsen, sondern empfindsame, mitfühlende Wesen, die feine Töne lieben wie auch wir. Es hat noch eine Weile gedauert, bis ich mich von den freundlichen Rindermädchen lösen konnte. Eine Stunde später kam ich im nahegelegenen Dorf an einem Gehöft vorbei, in welchem, auf verschiedene Häuser verteilt, Franken-Fleckvieh-Milchkühe in dunklen, muffigen Ställen in Kot und Urin lagen oder in Anbindehaltung standen, um das Kraftfutter hinunterzuschlingen.
Im Vergleich zu den frei laufend glücklichen Charolais-Färsen auf der sonnigen Höhe im Grasland war die nun erlebte Stallhaltung ein Schock, der mich daran erinnerte, dass intensive, industrielle Tierhaltung stets mit unmenschlichen Praktiken wie Misshandlungen und Verstößen gegen Tierschutz und Tierwohl verbunden ist. Wie können Menschen so etwas nur mit ihrem Gewissen vereinbaren? Vielleicht, weil wir alle wegschauen? Aus diesem richtigen Mitgefühl heraus sprechen wir von inhumaner Tierhaltung, wenn Tiere derart mitleidlos gehalten und verwertet werden.
Was bedeutet es für uns als Gesellschaft, wenn wir inhumane Massentierhaltung hin zu humaner Tierhaltung konvertieren wollen? Wir sollten einmal den – nach Meinung der Psychologin Melanie Joy wie eine Weltanschauung gepflegten – Carnismus in Frage stellen. Ganz sicher ist auf dem Wege der Konversion von der anthropozentrischen Landwirtschaft mit Massenviehzucht und überdimensioniertem Pflanzenbau zur planetarischen Landwirtschaft die Reduzierung von Produktion und Konsum das Richtige. Schon immer vernünftige Richtlinien wie FdH (Friss die Hälfte!) und IdR (Iss das Richtige!) können quantitativ wie qualitativ die Zähmung menschlicher Gier nach immer mehr und mehr Wachstum in Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie bremsen, doch reicht das alleine nicht aus. Konversion umzusetzen, heißt, dass wir unser Wissen und Können weiterhin durch Forschen, Lehren, Aufklären, Anwenden und Überprüfen in der Tierhaltung und Tierverwertung mehren. Schieben wir die planetarisch lebensrettende Konversion weiter vor uns her, bestimmen jene Menschen weiterhin das fatale Spiel von Angebot und Nachfrage, denen es egal ist, dass Niedrigpreisangebote nur auf unterer Qualitätsstufe produziert werden können.
Insofern sind auch wir als Humanistinnen und Humanisten gefordert, uns mehr als bisher in Diskurse zur Konversion von der anthropozentrischen Landwirtschaft zur planetarischen Landwirtschaft einzumischen. Denn alles, was wir Gutes für humane Tierhaltung, für Tierschutz und Naturschutz tun, kommt uns Menschen auch darüber hinaus zugute. Wir müssen nur begreifen, wie abhängig die Superorganismen Pflanzenheit, Tierheit und Menschheit voneinander im gemeinsamen Hyperorganismus Planet Erde sind. Das bedeutet, Abschied zu nehmen von der suizidalen Botschaft des Monotheismus „Macht euch die Erde untertan!“ und mit Vernunft und Maß Verantwortung zu übernehmen für Pflanze, Tier, Mensch, Boden, Wasser und Atmosphäre.
Das bedeutet auch, den Vereinten Nationen in ihrem Bemühen um Konversion nicht nur mit gut gemeinten Worten den Rücken zu stärken. Das kann man tun, indem man den UNPA-Aufruf zur Errichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen unterstützt. So ließe sich der UN-Generalversammlung, bestehend aus Regierungsvertreter*innen der Mitgliedsstaaten, auch Druck von Volksvertreter*innen der Mitgliedsstaaten machen.