Wissenschaft und Forschung
Nikolai Miklucho-Maclay: ein Haeckel-Schüler wider den Rassenwahn
Biologiedidaktiker und Wissenschaftshistoriker der Universität Jena veröffentlichen Studie zum Haeckel-Schüler Nikolai Miklucho-Maclay und belegen, wie er seinen Lehrer widerlegte und damit zum ersten Antirassisten wurde.
Biologiedidaktiker und Wissenschaftshistoriker veröffentlichen Studie zum Haeckel-Schüler Nikolai Miklucho-Maclay und zeigen, wie er seinen Lehrer widerlegte und damit zu einem der ersten Antirassisten wurde.
Wie kaum ein anderer hat der Biologe Ernst Haeckel der Evolutionstheorie Darwins zum Durchbruch verholfen. Zum einen hat der deutsche Biologe die Ideen des englischen Kollegen – von Jena aus – einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zum anderen hat er sie wissenschaftlich weiterentwickelt. Beim Versuch, eine neue exakte Anthropologie auf Grundlage der Evolutionstheorie zu schaffen, unterlief ihm allerdings ein folgenschwerer Fehler: Haeckel rekonstruierte die menschliche Evolution auch anhand der modernen Bevölkerung und behauptete, es gebe verschiedene Menschenarten auf unterschiedlichen Evolutionsstufen – eine Aussage, die aus heutiger Sicht unzweifelhaft als rassistisch bezeichnet werden muss. Auf ausreichend empirische Feldstudien, um diese These zu beweisen, verzichtete Haeckel. Wie es ausgerechnet seinem Schüler Nikolai Miklucho-Maclay gelang, den „deutschen Darwin“ zu widerlegen, das berichten Wissenschaftshistoriker der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einer aktuellen Studie in Zusammenarbeit mit der Russischen Geographischen Gesellschaft in St. Petersburg.
Nicht an seine eigenen wissenschaftlichen Methoden gehalten
„Haeckel ging davon aus, dass die Menschheit aus verschiedenen Spezies besteht, die sich durch verschiedene Entwicklungsstufen unterscheiden. Einige stünden also einem hypothetischen vormenschlichen Vorfahren näher, andere seien bereits weiterentwickelt“, erklärt Uwe Hoßfeld von der Universität Jena. Co-Autor Georgy S. Levit ergänzt: „Diese Aufteilung in höhere und niedrigere Rassen ist der Kern jedes diskriminierenden Rassismus.“ Vermutlich gingen solche herabsetzenden Denkweisen aus Haeckels Arbeit hervor, weil er sich nicht an seine eigenen wissenschaftlichen Methoden gehalten hatte. Diese sahen nämlich vor, Organismen im unmittelbaren Lebensumfeld zu untersuchen, um so Unterschiede innerhalb einer Art sowie unterschiedliche Arten zu erkennen. Doch der Jenaer Biologe verzichtete darauf, durch aufwendige Feldstudien ausreichend empirische Daten zu erheben – um als Erster die menschliche Evolution in spekulativer Weise erklären zu können.
Sechs Reisen nach Neuguinea
Genau diese Forschung führte schließlich ausgerechnet einer seiner unmittelbaren Schüler durch und lieferte somit die Beweise dafür, dass Haeckel mit seinen anthropologischen Spekulationen falsch lag. Der 1846 in Russland geborene Naturforscher Nikolai Miklucho-Maclay hatte ab 1865 einige Jahre in Jena studiert, sogar als Haeckels Assistent gearbeitet und mit ihm Forschungsreisen unternommen. Nach dem Zerwürfnis mit seinem ehemaligen Lehrer brach er 1870 nach Neuguinea auf, um die dortige indigene Bevölkerung – die Papua – zu erforschen. Während seines ersten Aufenthaltes lebte er über ein Jahr mit ihnen. Fünf weitere Reisen folgten, bevor Miklucho-Maclays 1888 starb.
Das Ziel der Reise war kein Zufall, sondern vielmehr vom ehemaligen Lehrer motiviert. Denn in seinem Werk „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ von 1868 hatte Haeckel u. a. die Papua als Vertreter einer primitiven Spezies genannt, die dem Urmenschen am nächsten stehen solle. Er beschrieb ihre Gestalt und Lebensweise, ohne jemals auf der Insel gewesen zu sein. Einen Beweis dafür sah der Evolutionspionier beispielsweise in der angeblich büschelartigen Behaarung der Papua und in ihrer Sprache.
Lehrer mit den eigenen Methoden widerlegt
Miklucho-Maclay widersprach diesen Behauptungen – und hielt sich in seiner Beweisführung streng an die Grundsätze seines Lehrers. Denn Haeckel war davon überzeugt, dass sich alle Organismen an ihre Lebensumgebung anpassen und es so innerhalb einer Art verschiedene geographische Variationen geben kann. Miklucho-Maclays empirische Forschung arbeitete heraus, dass das auch bei den Papua vorlag und sie innerhalb der Menschheit als vollwertige Mitglieder anzuerkennen sind, deren Rechte geschützt werden müssen.
„Zwar hat es auch vorher Denker gegeben, die sich deutlich gegen Rassismus ausgesprochen haben, wie beispielsweise Alexander von Humboldt. Aber Miklucho-Maclay war der erste Antirassist, der seinen Standpunkt nachdrücklich durch evidenzbasierte, langjährige Feldforschung untermauert hat“, resümieren Hoßfeld und Levit. „Leider hatte seine Arbeit wenig Einfluss auf die damalige Wissenschaft und Gesellschaft. Hätte sie mehr Aufmerksamkeit erfahren, wäre rassistisches Gedankengut, das vor allem im 20. Jahrhundert so viel Schaden angerichtet hat, möglicherweise bereits im Keim erstickt worden.“ Sein frühzeitiger Tod verhinderte zudem eine globalere Sicht auf die damals schon vorhandenen Probleme des Rassismus und Kolonialismus.