Panorama
Kulturrucksack im Klassenzimmer
Weil ihr Hands-on-Museum turmdersinne aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen bleiben muss, setzt die philoscience gGmbH vermehrt auf mobile Angebote. Mit der boxdersinne bringt sie Wahrnehmungsexperimente in Kitas und Schulen.
Weil ihr Hands-on-Museum turmdersinne aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen bleiben muss, setzt die philoscience gGmbH vermehrt auf mobile Angebote. Mit der boxdersinne bringt sie Wahrnehmungsexperimente in Kitas und Schulen.
Es ist ein grauer Herbsttag, an dem die philoscience gGmbH im Rahmen des Nürnberger KulturRucksacks die Johann-Daniel-Preißler-Schule in Nürnberg-Gostenhof besucht. Sandy, einer der Besucherbetreuer*innen im von der philoscience betriebenen turmdersinne, wird gleich einen Workshop für Fünftklässler*innen geben, der sich mit den menschlichen Sinnen beschäftigt. Sein Rucksack ist ein schwerer Rollkoffer, über dessen Inhalt gleich noch die Rede sein wird. Es ist nicht der erste Einsatz dieser Art. Seit Ende der Sommerferien hat Sandy schon einige Mittelschulen besucht. „Normalerweise kommen die Klassen immer zu uns ins Museum. Wir probieren mit ihnen die Exponate aus, sprechen über die menschlichen Sinne und über Wahrnehmung allgemein. Normalerweise. Aber so richtig normal ist in diesen Tagen ja vieles nicht“, stellt Sandy nachdenklich fest.
Seit einigen Jahren führt er Besucher*innen durch den turmdersinne, der in der Museenlandschaft eine gewisse Sonderstellung einnimmt. In dem Nürnberger Stadtmauerturm werden nicht im klassischen Sinne Objekte präsentiert, sondern Phänomene von und Forschungsergebnisse über Wahrnehmung ausgestellt. Die meisten Exponate dürfen und sollen angefasst werden. Als modernes Science Center, Erlebnisausstellung oder Hands-On-Museum lässt sich der turmdersinne daher besser beschreiben. Und wie die meisten kulturellen Einrichtungen hat die Corona-Pandemie Anfang 2020 auch den turmdersinne hart getroffen: Im März wurde das Museum geschlossen, es hat bis heute nicht wieder geöffnet.
„Dann kommen die Wahrnehmungsexperimente eben in die Klassen“, sagt Sandy entschieden optimistisch. Weil das Recht junger Menschen auf kulturelle Bildung nicht dauerhaft ausgesetzt werden sollte, wurde nach Alternativen zum Museumsbesuch gesucht.
Die boxdersinne bringt Wahrnehmungsexperimente in Schulen und Kitas – Audiobeitrag aus dem Humanistischen Magazin:
Der Nürnberger KulturRucksack ermöglichte diese Alternative. Das Jugend-Kultur-Abo für Kulturerlebnisse bei gemeinsamen Ausflügen ist ein Angebot, mit dem man besonders Schüler*innen aus ärmeren Stadtteilen erreichen will. Da Bildung und Zukunftsperspektiven von Kindern in Deutschland stark an die Einkommenssituation der Eltern gekoppelt sind, ist das Ziel des KulturRucksacks, diesen sozialen und bildungspolitischen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Kulturelle Bildung soll allen Kindern und unabhängig vom Einkommen der Eltern zugänglich sein. Wahrnehmungsworkshops wie der an der Preißlerschule helfen dabei, wegen ihnen ist Sandy heute hier.
Wahrnehmung täuscht
Die Frage nach der Wahrnehmung hat eine lange philosophische Tradition, sie reicht laut dem Spektrum-Lexikoneintrag „von den Vorsokratikern über Rationalismus-Empirismus-Kontroversen bis zur gegenwärtigen Philosophie des Geistes.“ In der heutigen Kognitionsforschung dreht sich alles um die Wahrnehmung; Erkenntnistheorie, Psychologie, Ethologie, Neurophysiologie und Forschungen zur “Künstlichen Intelligenz” spielen hier eine Rolle. Menschen vertrauen demnach sehr stark auf ihre Wahrnehmung, ihre tiefsten Überzeugungen gründen auf dem, was sie von ihrer Umwelt wahrzunehmen glauben.
Der Haken daran: Auf unsere Wahrnehmung ist nicht immer Verlass. Täuschungen aller Art führen unsere Sinne manchmal komplett in die Irre. Diese Fehlleistungen unseres Wahrnehmungsapparats führen aber auch zu erstaunlichen Erkenntnissen, die erklären, wie unser Gehirn und die Sinne tatsächlich arbeiten. Genau diese Phänomene sollen in dem Workshop für die Kinder erkennbar werden, darüber soll gestaunt und diskutiert werden.
Um einige Inhalte des Hands-On-Museums in Schulklassen bringen zu können, hat die philoscience ihre mobilen Angebote erweitert und die boxdersinne kreiert, eine Ausstellung im Miniaturformat, die wissenschaftliche Erkenntnisse aus Wahrnehmungsforschung, Psychologie und Hirnforschung für Schulkinder begreifbar macht. Es gibt Boxen für Schulen und für Kindertagesstätten, für Erwachsene und bald auch zu weiteren Themen wie Philosophie und Evolution. Die Idee hinter der boxdersinne ist dieselbe wie hinter dem Hands-On-Museum: Indem man vor Augen führt, wie leicht die Sinne zu täuschen sind, soll das kritische Denken geschult und gefördert werden.
Falsche Farben und ein Wasserfall
Zurück in der Preißlerschule. Motiviert und mit der boxdersinne im Gepäck beginnt Sandy dort den Workshop. Er startet mit dem Stroop-Effekt. Eine scheinbar simple Aufgabe, nämlich Farbnamen auf zwei Tafeln abzulesen, stellt sich für die Kinder als überraschend schwierig heraus. Auf der ersten Tafel passt die Druckfarbe jeweils zum Wort, also das Wort „Lila“ ist in lila abgedruckt, „Gelb“ in gelb. So weit so gut. Auf der zweiten Tafel jedoch unterscheiden sich Farbe und Wort. Das Wort „Grün“ ist dort beispielsweise gelb gedruckt. Während das Ablesen der ersten Tafel noch problemlos funktionierte, ging das Ablesen der zweiten Tafel verzögert und stotternd vonstatten und endete im polyphonen Wirrwarr.
Zugegeben, der interaktive Ansatz des Workshops leidet ein wenig unter den aktuell geltenden Hygienemaßnahmen. Aber auch dafür gibt es eine Lösung. Anstatt der Experimente rund ums Riechen und Schmecken gibt es für die Schulklassen einfach mehr zum Sehen. Der Workshop gerät dadurch zwar leider frontaler als gewünscht, aber die neue Form der Wissenschaftsvermittlung in den Klassenzimmern hat auch ihre positiven Seiten: „Die Klassen sind auch mal froh, eine Stunde lang aus dem Kontext des normalen Unterrichts auszubrechen und etwas zu erleben, was man sonst nur bei uns im Museum erleben kann. Ich glaube, es ist eine willkommene Ablenkung vom derzeit ziemlich skurrilen Schulalltag, der von Maske und Abstand geprägt ist“, erklärt Sandy nach dem Workshop.
Welche Exponate bei den Workshops bisher am besten ankamen? Sandy verrät es: „Eindeutig der Wasserfall-Effekt! Dabei gibt es immer viel zu lachen, vor allem wenn die Kinder, nachdem sie den Blick eine Minute lang auf die sich drehende Pappspirale fixiert haben, plötzlich in mein verdrehtes Gesicht schauen und erschrecken. Aber auch die Shepard-Tische begeistern. Dafür lege ich zwei Mini-Tischplatten aufs Pult, die eine erscheint lang und schmal, die andere kurz und breit. Ich erkundige mich, welche beiden Schüler*innen als nächste Geburtstag haben und hole diese nach vorne. Dann folgt ein kleines Gedankenspiel: ihr schmeißt eine Geburtstagsparty und könnt eure Gäste an die beiden Tische setzen. Wie viele Gäste würdet ihr an den einen, wie viele an den anderen setzen? Natürlich weichen die Antworten immer voneinander ab, zum Beispiel 4 und 6 oder 6 und 8. Wenn ich anschließend das Exponat erkläre und der Klasse zeige, dass die beiden Tischplatten genau deckungsgleich sind, sind die Kinder immer total aus dem Häuschen.“
Ein weiterer Workshop geht zu Ende. Und Sandy wirkt etwas erschöpft. Die Stunde schlaucht. Aber das Gefühl, wenn die Kinder erzählen, dass der Workshop ihre Vorfreude auf Zeiten weckt, in denen sie wieder in ein richtiges Museum gehen und den turmdersinne besuchen können, ist ein gutes.
Science Edutainment für Kitas, Schulen und Erwachsene
Die boxdersinne ist eine Box zum Staunen, Erleben und Begreifen. Kleine und große Forscher*innen können damit auf spielerische Art Wahrnehmungstäuschungen erleben und die eigenen Sinne erkunden.
Die boxdersinne ist ab sofort in drei Varianten buchbar: für Kitas, Schulen und Erwachsene. Sie ist auch als boxdersinne on tour mit pädagogischer Begleitung buchbar.
Weitere Informationen und Buchungsmöglichkeiten unter www.philoscience.de.