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Interview

Zeit für Veränderung

Mitte April hat die 10. Bundesdelegiertenversammlung des Humanistischen Verbandes Deutschlands in Berlin getagt. Mehr als 90 Delegierte sollten über die Zukunft des HVD-Bundesverbandes beraten und abstimmen. Ein Ergebnis: Geschlossen verließen die Delegierten der zweitgrößten Mitgliedsorganisation die Versammlung vor deren Ende.

Mitte April hat die 10. Bundesdelegiertenversammlung des Humanistischen Verbandes Deutschlands in Berlin getagt. Mehr als 90 Delegierte sollten über die Zukunft des HVD-Bundesverbandes beraten und abstimmen. Ein Ergebnis: Geschlossen verließen die Delegierten der zweitgrößten Mitgliedsorganisation die Versammlung vor deren Ende.

Im Interview spricht Ulrike von Chossy, seit 2014 Vizepräsidentin des Dachverbandes und eine der neun Delegierten des HVD Bayern, über Hintergründe. Sie meint, der Dachverband befinde sich in einer schwierigen Situation. Denn so etwas hat es seit der Gründung des Humanistischen Verbandes Deutschlands noch nie gegeben:

Eine der aktivsten Mitgliedsorganisationen im HVD hat dem höchsten Organ des Dachverbandes, der Bundesdelegiertenversammlung, das Vertrauen entzogen. Was sind die Gründe?

Ulrike von Chossy: Da gibt es nicht wenige, aber um bei einem besonders wichtigen Punkt anzufangen: Wir konnten leider nicht mehr erkennen, dass die Gründe für die frühere Entscheidung des HVD Bayern, sich diesem Dachverband anzuschließen, noch vorliegen. Der Bundesverband hat einfach in den letzten Jahren eine andere Richtung genommen.

Woran machen Sie das fest? Unmittelbar vor dem Verlassen der Delegiertenversammlung hatte es eine Abstimmung über das Recht auf internationale Kooperationen gegeben.

Ulrike von Chossy – Foto: HV

Ulrike von Chossy – Foto: HV

…im Rahmen einer Diskussion über eine neue Satzung, die es uns für die Zukunft unmöglich gemacht hätte, dass wir uns als eigenständige Mitglieder in internationalen Zusammenhängen wie der EHF [Europäische Humanistische Föderation, die Red.] oder den Humanists International engagieren können. Wir haben vor einigen Jahren beschlossen, unser entsprechendes Engagement auszubauen, denn bekanntlich gibt es an dieser humanistischen Solidarität einen riesigen Bedarf in der Welt. Man hat uns mit diesem Wunsch dort auch sehr willkommen geheißen.

Wir haben bei der BDV nun eine Situation vorgefunden, in der über eine Satzungsänderung abgestimmt wird, die zwar zu Beginn eigentlich stärker als noch zuvor erklärt, der HVD solle ein Bundes- und Dachverband eigenständiger Mitgliedsorganisationen sein, die aber zugleich diese Eigenständigkeit, also unsere Autonomie, einschränken würde auf ein Maß, das geringer ist als bisher. Dieser Antrag eines Landesverbandes kam kurzfristig dazu. Wir standen somit vor der konkreten Entscheidung, eine zuvor bestehende Freiheit aufgeben zu müssen, auf die wir aber Wert legen, und was unseren eigenen, von unseren Mitgliedern getroffenen Beschlüssen schlicht widersprochen hätte.

Die geänderte Satzung hätte das Delegiertenprinzip dabei doch so verändert, dass das enorme Stimmenungleichgewicht zwischen den Mitgliedsorganisationen wie bisher in Zukunft nicht mehr vorhanden wäre.

Das stimmt zwar, aber auf der Versammlung wurde dieses Stimmübergewicht noch genutzt um vollendete Tatsachen für die Zukunft zu schaffen und mögliche Kompromisse zu verhindern. Wenn wir der Satzung im Ganzen zugestimmt hätten, hätten wir eben auch dem Antrag auf die Einschränkung unserer Autonomie beim internationalen Engagement zugestimmt, wie vielleicht noch anderen Vorgaben, die wir nicht mittragen können oder wollen.

Ein weiterer, erst sehr kurz vor der Versammlung eingebrachter Antrag zielte nämlich darauf, dass Mitgliedsorganisationen jegliche Tätigkeit in den Gebieten anderer Mitgliedsorganisationen verboten ist, wenn diese zuvor nicht eine schriftliche Genehmigung eingeholt haben.

Solche Klauseln mögen ja in bestimmten Fällen nicht gänzlich ungewöhnlich auch für Dachverbände sein. Doch der äußerst weitgefasste Wortlaut und der Zeitpunkt der Antragstellung wenige Stunden vor der Delegiertenversammlung legte eine bestimmte Stoßrichtung nahe. Denn ausschliesslich wir sollten nach der derzeitigen Lage davon betroffen sein, denn wir haben nach jahrelangen bundesweiten Aktivitäten mit den mobilen Angeboten unseres Projekts turmdersinne und unserer philoscience gGmbH vor einigen Monaten eine Geschäftsstelle dafür in Berlin eingerichtet, die zugleich als Korrespondentenbüro für unsere Verbandsmedien in der Hauptstadt und am Sitz der Regierung dient. Sagen wir es so: Weshalb etwa die mobile Ausstellung tourdersinne, die vor etwa einem Jahr in Berlin gastierte und heuer auch Dortmund und anderswo zu sehen sein wird, nun plötzlich „genehmigungspflichtig“ sein soll, ist nicht wirklich einsichtig. Und natürlich haben wir als Humanistische Vereinigung auch politische Anliegen, die wir, Stichwort Autonomie, bei den Entscheidungsträger*innen in der Politik und bei anderen Organisationen vortragen können wollen, ohne dafür Genehmigungen einholen zu müssen.

Die gravierenden Probleme an dem Antrag sah jedenfalls offenbar auch eine knappe Mehrheit der Delegierten, weswegen er nun vorläufig in einem anderen Rahmen als der Satzung umgesetzt werden soll.

Bevor die bayerische Delegation den Saal nach der Abstimmung über das Recht auf internationale Kooperationen verließ, gab es noch eine längere Kontroverse über die Besetzung des Vorstands des KORSO. Spielt die auch eine Rolle?

Ja, durchaus, allerdings ist das eine lange und komplizierte Geschichte, die separat aufgearbeitet werden muss. Der Religionswissenschaftler Stefan Schröder hat unlängst eine ganze Doktorarbeit zu diesem Themenfeld verfasst, die den hieran Interessierten sehr zu empfehlen ist. Jedenfalls kann man nicht sagen, dass das Thema KORSO zu den jüngeren Kontroversen zählt, denn zu dessen Rolle und der Mitgliedschaft humanistischer Organisationen wie unserer dort gibt es schon seit Jahren erhebliche Differenzen innerhalb des HVD-Dachverbandes. Wir drängen schon lange darauf, diese Differenzen auszutragen, aber das wurde jedes Mal mit Geschäftsordnungsanträgen verhindert, auch auf der BDV, und ebenso auf der unmittelbar davor tagenden Präsidiumssitzung.

Unsere Haltung hierzu ist, dass die Mitgliedschaft im KORSO uns mehr Nachteile als Vorteile bringt. Wie man sich vorstellen kann, ist es schon schwierig genug gewesen, im HVD-Dachverband zu Kompromissen zu kommen, die für alle tragfähig waren. Denn der Bundesverband selbst ist ja schon eine Art Koordinierungsrat humanistischer Organisationen, mit je sehr eigenen Positionen und unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Die inhaltlichen Positionen des HVD-Dachverbandes sind also oft bereits Kompromisse, werden dann im KORSO aber nochmals der Kompromissbildung ausgesetzt, allerdings nun mit Vorstellungen, die denen des HVD – nicht nur bei uns in Bayern – teilweise entgegenstehen. Was da dann rauskommt, kann man sich in etwa so verstellen: Wer ganz unterschiedliche Richtungen zu vereinen versucht, landet mit ziemlicher Sicherheit im Nirgendwo.

Könnten Sie das mal an einem konkreten Beispiel erklären?

Ich mache das gern mal an einer ganz aktuellen Sache anschaulich: Wir kämpfen in Bayern gerade auf dem Gerichtsweg, aber nicht nur dort, für die Einrichtung von Humanistischem Unterricht an den öffentlichen Schulen. Vor einigen Wochen hat es eine Veranstaltung mit der grünen Landtagsfraktion in München gegeben, wo auch das Thema der wertebildenden Schulfächer angesprochen wurde. Da erklären wir also, warum wir uns für Humanistischen Unterricht einsetzen und zugleich sitzen auch Vertreter*innen anderer Organisationen im KORSO mit am Tisch, darunter auch jemand, der sich als Vertreter des KORSO vorstellt. Aus diesen Reihen wird nun eine ganz andere Haltung zu dem Thema artikuliert und unsere Klage für ganz falsch und das Fach für überflüssig erklärt. Aber, weil der HVD-Bundesverband schließlich Mitglied im KORSO ist, entsteht der Eindruck, dieser würde eben die gemeinsamen Positionen vertreten und wir seien „Abweichler“. Und das ist ein Problem. Schlechtes Lobbying können wir gar nicht brauchen, dafür sind diese Dinge schon schwierig genug durchzusetzen, als dass man sich mit solchen Phänomenen noch belasten müsste.

Wir sehen uns jedenfalls in der Verantwortung, die Vor- und Nachteile aller Organisations-Mitgliedschaften kontinuierlich im Sinne unserer Grundsätze und Ziele abzuwägen. Für uns hat sich die Situation in den letzten Jahren so entwickelt, dass wir für vieles, was in HVD und KORSO gängige Meinung ist, nicht mehr stehen können und wir uns so manches für die Zukunft auch nicht zurechnen lassen möchten.

Und was bedeutet das für den HVD-Dachverband?

Das bedeutet, dass er in Zukunft auf einer Satzung steht, die nicht die Stimmen unserer Delegierten für sich gewinnen konnte. Und soweit mir bekannt ist, gab es auch darüber hinaus einige Gegenstimmen und Enthaltungen. Wir werden den HVD zum Jahresende verlassen. Ich würde also sagen, er befindet sich in einer schwierigen Situation bei seiner ursprünglichen und über Jahrzehnte mit viel Mühe entwickelten Zielstellung, eine bundesweite und repräsentative Stimme des organisierten, praktischen Humanismus zu sein. Das ist wohl nicht mehr der Fall, denke ich. Schade, dass es so gekommen ist.

Die Fragen stellte Marco Schrage

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