Rezensionen
Humanistische Grundbegriffe
Das Grundlagenwerk steckt einen gegenwärtigen Humanismus ab, wobei es vor allem an Antike, Renaissance/Humanismus, Aufklärung und Moderne anknüpft.
Das Grundlagenwerk steckt einen gegenwärtigen Humanismus ab, wobei es vor allem an Antike, Renaissance/Humanismus, Aufklärung und Moderne anknüpft.
Mit dem Philosophen Frieder Otto Wolf und dem Kulturwissenschaftler Horst Groschopp gehören der jetzige und ein früherer Präsident der Humanistischen Verbandes Deutschlands zu den Herausgebern des Bandes. Der dritte Herausgeber Hubert Cancik ist ein emeritierter Altphilologe, von dem unter anderem die Beiträge zur Antike, zur Renaissance und zum Humanismus stammen.
Die insgesamt 44 Beiträge, meist etwa acht Seiten lang, sind in einen kürzeren systematischen Teil und einen längeren alphabetischen Teil gegliedert. Zunächst kreisen mehrere Beiträge zu Humanismus, Humanität, Humanitarismus und interkulturellem Humanismus das Thema des Bandes ein. Dabei bestimmt Hubert Cancik den Humanismus als ein „offenes System“, dessen „Bestimmungsstücke sehr verschiedenartig sind und keine widerspruchsfreie, abgeschlossene Totalität bilden“ (S. 10). So ist Humanismus unter anderem ein „pädagogisches Programm“, „ein Teil der antiken und modernen Aufklärung“, aber auch „die Grundlage für die Menschenrechte/Menschenwürde und für [h]umanitäre Praxis“. Sicher ist es „keine Religion, auch keine ‚Ersatzreligion‘“ (S. 10).
Wie Horst Groschopp in seinem Artikel zur Freidenkerbewegung zeigt, kam diese dem heutigen Humanismus vorausgehende Bewegung „mit Beginn des 21. Jahrhunderts […] an ihr Ende“: „Die sie ursprünglich produzierenden Umstände (mangelnde Trennung von Gesellschaft und Religion bzw. Kirche und Staat) wandelten sich radikal. Die sie stützenden politischen Sondermilieus lösten sich auf (im 19. Jahrhundert der Liberalismus; im 20. Jahrhundert der Sozialismus). Die ihre Organisationen befördernden sozialen Kräfte, die Bevölkerungsgruppe der ‚Konfessionsfreien‘ […] vergrößerte sich zwar auf derzeit 36 Prozent, aber ein gemeinsames Subjekt bildet sich nicht.“ (S. 163) Kurz: Zwar knüpft der heutige Humanismus an historische Vorgänger an, doch hat er nicht mehr wie sein unmittelbarer Vorgänger den Status einer ausgegrenzten Minderheit. Vielmehr werden seine Grundlagen heute von weiten Teilen der Gesellschaft geteilt, wie etwa Eric Hilgendorf, Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg, in seinem Artikel zu Menschenrechte/Menschenwürde zeigt.
Allerdings gilt der Menschenrechte-Diskurs in einigen außereuropäischen Kulturen als spezifisch europäisch. Doch, wie Eric Hilgendorf erwähnt, gibt es „im chinesischen, im hinduistischen und im muslimischen Denken durchaus Ansatzpunkte für Menschenrechte und Menschenwürde“ (S. 285). Genereller geht Jörn Rüsen, Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, im Artikel zum Interkulturellen Humanismus dem Thema nach und findet verwandte Traditionen etwa in Afrika (Ubuntu-Konzept), Indien (etwa in der Philosophie Ramakrishnas) und China (Konfuzius). Ansätze gibt es auch im Islam, etwa in Koran Sure 5, Vers 32, die eine umfassende Humanität verkündet.
Doch ist der Humanismus nicht nur ein Ideenkonzept, sondern – wie der Literaturwissenschaftler Heinz-Bernhard Wohlfahrt im Artikel zum Humanitarismus darlegt – auch eine „universelle Verpflichtung zur Beseitigung schwerer moralischer Übel“ (S. 31). Allerdings gibt es – wie am Beispiel des Biafra-Konflikts (1968-1970) gezeigt wird – ein „Hilfs-Dilemma“: „Sollen die Humanitaristen, um vermeidbares Leiden zu beseitigen, helfen oder verändern?“ (S. 37).
Wie die Philosophin Marie Schubenz, eine von vier mitwirkenden Frauen (bei 15 Männern), im Artikel zum Begriff Solidarität zeigt, sollte der moderne Humanismus etwa die Auseinandersetzung mit dem Kommunitarismus und Konvivialismus suchen: „Die Einlösung einer humanistischen Solidarität ist ohne eine zunehmende Aufhebung der globalen Ausbeutung nicht denkbar und setzt damit gesellschaftliche Verhältnisse voraus, die Herrschaft überwinden.“ (S. 384) – eine Ansicht, die sicher nicht alle Humanisten aus dem Bürgertum teilen dürften.
Genauso wenig dürften von einer radikalen Religionskritik kommende Humanisten die Ansicht der klassischen Philologin Hildegard Cancik-Lindemaier teilen: „Humanistische Religionskritik richtet den Blick auf die Praxis. Ihr Focus liegt inzwischen weniger auf Argumenten gegen Lehrsätze und Dogmen als auf der Analyse der Machtstrategien von Religionsgemeinschaften und ihrer Versuche, die Deutungshoheit im kulturellen, sozialen und politischen Leben von Gesellschaften und Staaten zu gewinnen.“ (S. 344)
Es ist in der Kürze einer Rezension kaum möglich, die Vielzahl der durchgängig fundierten und gut verständlichen Artikel zu besprechen. Wer sich einen Überblick über die Geschichte und Problematik von Begriffen wie Religionsfreiheit/Toleranz, Säkularisierung, Weltanschauung, Humanismus-Unterricht/Lebenskunde verschaffen will, kommt um den Band nicht herum.