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Berlin

Frau Ministerin, mein ganzes Leben war eine Lüge!

Wie viel Religion verträgt die Demokratie, fragt die Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin Monika Grütters (CDU) in der aktuellen ZEIT.

Wie viel Religion verträgt die Demokratie, fragt die Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin Monika Grütters (CDU) in der aktuellen ZEIT. Sie meint, dass „nur eine Gesellschaft, die ihre eigene Identität pflegt, dem Fremden Raum geben kann, ohne sich bedroht zu fühlen.“ Und darum gehört für sie das Kreuz ins Kanzleramt. Doch steht das Kreuz wirklich für „unsere Identität“?

„Einer von 26! Und der war sich noch nicht mal sicher!“, berichten Sie in Ihrem Essay in der aktuellen ZEIT über die Reaktion einer Schülergruppe aus Ihrem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf auf Ihre bei solchen Anlässen gelegentlich geäußerte Frage, wer denn getauft sei. Und Sie fragen: „Muss man Christ sein, um diese kulturelle Unbehaustheit mit Sorge zu sehen?“

Monika Grütters in der ZEIT Nr. 20/2018

Ihre Ausführungen in der ZEIT sind nun mein Anlass geworden, Ihnen den heutigen schönen Sonntag, der ja auch letzter Tag des diesjährigen katholischen Kirchentags in Ihrer Heimatstadt ist, zu widmen. Im Deutschlandfunk hat gerade die Gottesdienstübertragung begonnen und ich fühle mich als Nicht-Christ in meiner Heimatstadt Berlin besorgt, nachdem ich heute früh Ihren Text zur Kenntnis nehmen musste. Denn „kulturelle Unbehaustheit“ – solche Einordnungen von einer Staatsministerin berühren mich schon sehr.

„Mein ganzes Leben war eine Lüge! Ich bin bisher der Illusion unterlegen, eine Identität zu besitzen und kein Fremder in unserem Land zu sein.“ Das hätte ich Ihnen zunächst am liebsten zugerufen (mit einem Lachen), nachdem ich Ihren Essay über das christliche Kreuz, gesellschaftliche Werte, das Thema „Identität“ und das Verhältnis zwischen Staat und den Religionen bzw. Weltanschauungen gelesen hatte.

Andererseits: „Kulturell unbehaust“, das ist ja schon eine echte Hausnummer auf der Wertungsskala. Und für mich sind Sie ja nicht nur irgendeine Bundestagsabgeordnete, doch dazu später mehr. Ich würde zunächst gern wissen: Ist den Familien aus Ihrem Wahlkreis bekannt, dass Sie Nichtgetaufte – ob jetzt einfach „Konfessionsfreie“ oder eventuell Andersgläubige – so bezeichnen?

Viel von dem, was Sie in Ihrem Essay geschrieben haben, finde ich eigentlich zustimmungsfähig. „Wir sollten liberalen Muslimen im Ringen um einen demokratiefähigen Islam den Rücken stärken“, ist so ein Satz. „Demokratie braucht nicht nur eine Kultur des Glaubens, sondern auch eine Kultur des Zweifelns“, lautet ein anderer. Und Demokratie „lebt nicht von der Selbstverleugnung, sondern vom Diskurs, von der Auseinandersetzung, von der aktiven Verständigung auf gemeinsame Werte“ – schön! Und noch so ein guter: „Wie viel Religion die Demokratie verträgt, hängt davon ab, wie viel Demokratie eine Religion verträgt. Den Glauben wie auch den Zweifel zu kultivieren – davon lebt Demokratie. Als Christen sollten wir es deshalb nicht zulassen, dass Religion und Glaube in die Abgeschiedenheit des rein Privaten verdrängt werden.“ Und auch dieser: „Ich glaube, dass nur eine Gesellschaft, die ihre eigene Identität pflegt, dem Fremden Raum geben kann, ohne sich bedroht zu fühlen.“

Warum brauchen Sie sogar im Kanzleramt ein Kreuz?

Doch bereits im übernächsten Satz an dieser Stelle klingelte bei mir erneut die Alarmglocke. „Für mich gehört das Kreuz ins Kanzleramt, weil es Zeichen meiner inneren Orientierung ist, weil es mir Halt gibt“, schrieben Sie. Mich würde hier interessieren, warum das Kreuz in oder an Ihrem Herzen oder am Revers nicht genug Orientierung für Sie gibt? Warum benötigen Sie ein Kreuz im Kanzleramt, um Orientierung und Halt zu bewahren? Und wie sieht die Identität unserer Gesellschaft in Ihren Augen aus, wenn in dieser Ungetaufte als kulturell unbehaust gelten und diese deswegen im Kanzleramt oder an anderen staatlichen Gebäuden ein Kreuz sehen sollen?

Die breite Kritik am söder‘schen „Kreuze-an-alle-Behörden-Erlass“, der von anderer Stelle schlicht als inakzeptabler Bruch des Neutralitätsgebots beurteilt worden ist, nennen Sie „eine bayerische Aufregung“. Und zu einem möglichen Grund schreiben Sie: „Wer es nicht mehr gewohnt ist, sich zu bekennen, der neigt im Bekenntnisfall dann auch mal zu Unbeholfenheit und Übertreibung.“

Unbeholfenheit und Übertreibung im Bekenntnisfall bzw. Nichtbekenntnisfall. Kulturelle Unbehaustheit – weil nicht getauft. Identitätspflege durch Kreuze in staatlichen Gebäuden. Ziemlich viel haben Sie uns Leserinnen und Leser in Ihrem Text mitgegeben, liebe Frau Grütters. Und wir sind ja nicht nur Lesende, sondern auch Bürgerinnen und Bürger, Steuerzahler, Demokraten, Wähler. Aus diesem Grund erlaube ich mir, Ihnen eine humanistische Perspektive zu liefern. Und alles mit freundlichen Grüßen aus der Nachbarschaft.

Aus meiner Sicht s…

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