Aktuelles
Zwischen Fortschritt und Stillstand: Der Menschenrechtsbericht Deutschland 2024
Der Menschenrechtsbericht 2024 des Deutschen Instituts für Menschenrechte gibt einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland zwischen Juli 2023 bis Juni 2024. Dabei werden zentrale Herausforderungen und Fortschritte analysiert und Empfehlungen für eine Verbesserung des menschenrechtlichen Schutzes gegeben.
Verschärfungen in der Migrationspolitik: Eine Bedrohung für den Flüchtlingsschutz
Im Berichtszeitraum ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 51 % gestiegen. Doch anstatt diesen Menschen Schutz und Perspektiven zu bieten, wurden migrationspolitische Maßnahmen ergriffen, die auf Abschreckung abzielen. Aus humanistischer Perspektive ist es unerlässlich, die Würde jedes Menschen zu achten und sicherzustellen, dass Schutzsuchende nicht als Belastung, sondern als potenzieller Gewinn für die Gesellschaft betrachtet werden. Die Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende im April 2024 ist ein Beispiel für eine solche Politik. Obwohl wissenschaftlich kein Beleg für die abschreckende Wirkung existiert, verschärft diese Maßnahme das Stigma Schutzsuchender.
Ein weiteres Beispiel ist das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung von Ausreisepflichtigen, das weitreichende Eingriffsrechte für Behörden beinhaltet. Die menschenrechtliche Abwägung kommt dabei häufig zu kurz, so das Institut. Besonders problematisch ist die verstärkt diskutierte Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten. Diese Praxis könnte fundamentale menschenrechtliche Standards untergraben und Schutzsuchende in unsichere Verhältnisse bringen.
Die Empfehlungen des Instituts beinhalten die Beendigung solcher Drittstaatenprüfungen und die Etablierung unabhängiger Monitoring-Mechanismen an den EU-Außengrenzen. Es warnt zudem davor, Schutzsuchende pauschal als Bedrohung darzustellen, da dies zu gesellschaftlichen Spannungen und Gewalt beitragen könnte.
Wohnungslosigkeit: Ein dringendes menschenrechtliches Problem
Wohnungslosigkeit bleibt eine der drängendsten sozialen Herausforderungen in Deutschland. Laut Statistiken lebten Anfang 2022 etwa 263.000 Menschen ohne festen Wohnsitz, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Für diese Menschen sind die Bedingungen in Notunterkünften häufig menschenunwürdig, gekennzeichnet durch fehlende Privatsphäre und unhygienische Verhältnisse.
Die Bundesregierung hat sich mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit das Ziel gesetzt, dieses Problem bis 2030 zu lösen. Doch der Bericht kritisiert die fehlende Konkretisierung und die unzureichenden finanziellen Mittel für die Umsetzung. Es wäre hier eine stärkere Priorisierung sozialer Gerechtigkeit nötig, um den am stärksten benachteiligten Menschen die Chance auf ein würdiges Leben zu ermöglichen. Besonders verletzliche Gruppen wie wohnungslose EU-Bürger*innen oder Frauen, die von Gewalt betroffen sind, werden in den Maßnahmen kaum berücksichtigt.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert Mindeststandards für Notunterkünfte, die Einhaltung von Mieter*innenschutzvereinbarungen und mehr finanzielle Unterstützung für Kommunen, um Wohnungslosigkeit effektiv zu bekämpfen. Es betont, dass Wohnen ein zentraler Bestandteil des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ist.
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt: Von der Werkstatt zum allgemeinen Arbeitsmarkt
Trotz rechtlicher Fortschritte bleibt die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt prekär. Viele von ihnen arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen und verdienen lediglich ein Monatsentgelt von durchschnittlich 222 Euro – weit unterhalb des Mindestlohns. Das Institut kritisiert dieses segregierte System als menschenrechtlich problematisch, da es die freie Wahl der Arbeit erheblich einschränkt und gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt.
Der Bericht hebt hervor, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Berichtszeitraum Reformen angestoßen hat, darunter einen Aktionsplan zur Verbesserung der Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dennoch bleibt die Transformation der Sonderstrukturen hin zu inklusiven Arbeitsplätzen eine große Herausforderung. Das Institut empfiehlt eine Vergütung nach Mindestlohngesetz und mehr Unterstützung für inklusive Ausbildungs- und Arbeitsoptionen.
Arbeitsbedingungen von Wanderarbeiter*innen: Menschenwürde im Fokus
Arbeitskräfte aus dem Ausland sind eine tragende Säule in Sektoren wie Pflege, Landwirtschaft und Logistik. Doch viele Wanderarbeiter*innen sind schlechten Arbeitsbedingungen ausgesetzt und scheuen sich, ihre Rechte einzufordern, aus Angst, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlieren. Die EU-Richtlinie über kombinierte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse, die im Mai 2024 in Kraft trat, ist ein wichtiger Schritt, um diesen Missstand zu beheben.
In der Landwirtschaft sind Saisonarbeitskräfte besonders vulnerabel. Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 184 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft hat Deutschland einen positiven Schritt gemacht, doch der Bericht fordert weitere Maßnahmen. Dazu gehört eine stärkere Kontrolle von Subunternehmerketten und eine bessere Durchsetzung von Arbeits- und Sozialstandards.
Unternehmensverantwortung: Lieferketten und Menschenrechte
Unternehmen stehen in der Verantwortung, Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten zu achten. Aus der Sicht eines humanistischen Weltbilds ist dies nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern eine moralische Notwendigkeit, um globale Ungerechtigkeiten aktiv zu bekämpfen. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) markieren wichtigeFortschritte. Die EU-Lieferkettenrichtlinie, die im Juli 2024 verabschiedet wurde, geht in einigen Punkten über das deutsche Gesetz hinaus, da sie Haftungsnormen und Beweiserleichterungen für Betroffene vorsieht.
Kritisch betrachtet das Institut jedoch, dass Deutschland zuletzt Nachverhandlungen gefordert hat, die zur Verwässerung der EU-Richtlinie beigetragen haben. Es fordert die Bundesregierung auf, die Umsetzung der Richtlinie im nationalen Recht unter Berücksichtigung der Betroffenenrechte voranzutreiben.
Deutschland im internationalen Menschenrechtsschutzsystem
Deutschland ist Mitglied zahlreicher internationaler Menschenrechtsabkommen und unterliegt somit einer ständigen Überprüfung seiner menschenrechtlichen Praxis. Im November 2023 wurde Deutschland im Rahmen des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrats begutachtet. Hier standen Themen wie Rassismus, Geschlechtergleichheit und der Schutz von Geflüchteten im Fokus.
Von den insgesamt 364 Empfehlungen anderer Staaten hat Deutschland 284 akzeptiert. Das Institut betont die Dringlichkeit, diese Empfehlungen umzusetzen, insbesondere im Bereich Kinderarmut, Gewalt gegen Frauen und Rassismusbekämpfung. Die Stärkung des Schutzes vor Wohnungslosigkeit und die Förderung inklusiver Bildung sind weitere priorisierte Handlungsfelder.
Fazit und Ausblick
Der Menschenrechtsbericht 2024 verdeutlicht, dass Deutschland trotz seiner starken menschenrechtlichen Grundpfeiler mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert ist. Während einige Fortschritte erzielt wurden, gibt es in anderen Bereichen dringenden Handlungsbedarf. Insbesondere die menschenrechtliche Evaluierung von Gesetzen und die Stärkung des Schutzes für besonders verletzliche Gruppen müssen weiter vorangetrieben werden.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte appelliert an Politik und Gesellschaft, die Impulse aus dem Bericht aufzugreifen und sich aktiv für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte einzusetzen. Denn nur durch eine konsequente menschenrechtsbasierte Politik können die Grundlagen für eine gerechte und solidarische Gesellschaft geschaffen werden.
Zum vollständigen Bericht geht es hier.