Nachrichten
„Faktenfreie AfD-Kampagne“ gegen Lesben und Schwule
LSVD-Sprecherin Stefanie Schmidt unterstrich in der ersten Reaktion auf ein neues Positionspapier der AfD, dass wertschätzende und diskriminierungsfreie Haltungen zum schulischen Bildungsauftrag gehören.
Die Rechtspopulisten skandalisieren abermals die Akzeptanz von homosexuellen Menschen und Transgendern, kritisierte heute der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). Eine Verbandssprecherin unterstrich in der ersten Reaktion auf ein neues Positionspapier der AfD, dass wertschätzende und diskriminierungsfreie Haltungen zum schulischen Bildungsauftrag gehören.
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat am Dienstagnachmittag ein Positionspapier aller AfD-Landtagsfraktionen zum Thema Bildung vorgestellt. In dem als „Magdeburger Erklärung gegen Frühsexualisierung“ betitelten Papier heißt es, Ziel der beteiligten Landtagspolitiker sei der Widerstand „gegen alle Versuche, andere Formen des Zusammenlebens und Sexualverhaltens gleichwertig neben Ehe und Familie zu stellen“. Man wolle sich auch dagegen wenden, dass „Kinder in Schule und KITA mit scham- und persönlichkeitsverletzten Inhalten in Wort, Bild und Ton konfrontiert werden“, sowie gegen Versuche des Staates, „die natürlichen Vorstellungen, die sich unsere Kinder von Familienleben und Geschlechterrollen bilden, systematisch zu verunsichern“. Außerdem fordern die Verfasser, das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare abzuschaffen. Weiter heißt es, man lehne die „‚herrschende Antidiskriminierungspolitik‘ ab, die sich einseitig an den angeblichen Lebensvorstellungen sexueller Minderheiten ausrichtet.“ Die „traditionelle Familie“ solle Vorbild und „Kern der deutschen Leitkultur“ bleiben.
Als Initiatoren benennt das Papier unter anderem den AfD-Abgeordneten André Poggenburg (Sachsen-Anhalt), den Abgeordneten Thorsten Weiß (Berlin) und den Abgeordneten Thomas de Jesus Fernandes (Mecklenburg-Vorpommern), knapp ein Dutzend weitere AfD-Abgeordnete werden als Erstunterzeichner aufgeführt. Konkrete Beispiele aus Lehrplänen oder Schulbüchern nannte Poggenburg bei der Vorstellung des Papiers am Dienstag in Magdeburg nicht. Man wolle präventiv ein Zeichen setzen, hieß es.
Der Lesben- und Schwulenverband reagierte heute umgehend auf die neuerliche Stimmungsmache von Rechtsaußen. Dort sieht man neben der Rhetorik eine weitere „faktenfreie AfD-Kampagne“. Sprecherin Stefanie Schmidt sagte: „Der Lesben- und Schwulenverband ist überzeugt, dass Kindergarten und Schule wichtige Orte sind, um gesellschaftliche Vielfalt und individuelle Wertschätzung aktiv zu lernen und zu leben. Sie sollten Orte sein, an denen sich alle Kinder und Jugendliche wohl und wertgeschätzt fühlen. Im Gegensatz zur AfD sieht der LSVD in der Förderung eines demokratischen Miteinanders keinen Skandal, sondern einen Gewinn. Denn für den LSVD gehört das Ziel eines angst- und diskriminierungsfreien Miteinanders zweifellos zum staatlichen Bildungsauftrag“, so Schmidt.
Es ist nach Jahrhunderten des Emanzipationskampfes mittlerweile eine breit anerkannte Tatsache, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle (LSBTI) ein fester Bestandteil der Gesellschaft sind. Menschen ohne heterosexuelle Identität und Lebensweise sind gleichwertig und sollten deshalb wie alle anderen angst- und diskriminierungsfrei leben können. „Eine selbstverständliche und unaufgeregte Thematisierung wirkt präventiv und nachhaltig gegen Homo- und Transphobie“, unterstreicht der LSVD dazu. Dies sollte daher genau wie Inklusion oder die Thematisierung von Rassismus und Antisemitismus ein wichtiger Bestandteil der Demokratie- und Menschenrechtsbildung sein.
LSVD für Pädagogik der Vielfalt statt Positionen der Einfalt
Dass die Akzeptanz von Vielfalt und das Eintreten für Menschlichkeit durch die AfD weiterhin diffamiert werde, zeuge „von einem ebenso uniformen wie beschränkten Gesellschaftsbild“, so Stefanie Schmidt weiter. Sie verwies darauf, dass es ein unverzichtbares Recht für alle Kinder und Jugendlichen ist, angstfrei über ihre Familien sprechen zu können und in ihren Bedürfnissen angenommen zu werden, statt Mobbing und Ausgrenzung zu begegnen. „Der Einkaufswagen einer Regenbogenfamilie als Rechenbeispiel, die Emanzipationsbewegungen in Geschichte oder Ideologien von Ungleichwertigkeit im Politikunterricht – darum geht es. Eine Pädagogik der Vielfalt beabsichtigt, dass Kinder und Jugendliche ein positives Selbstbild entwickeln und sich gegen Diskriminierungen behaupten können. Gelingen kann dies nur, wenn auch über die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten altersgerecht, sachlich und angemessen informiert wird“, so Stefanie Schmidt. Nur mit Hilfe von faktenfreien und diffamierenden Kampagnen würden sich derartige Ansätze im Bildungsbereich zur Förderung von Toleranz und Achtung zum Skandal eignen, kritisiert sie.
„Ziele der Sexualaufklärung sollten die positive Einstellung zur eigenen Körperlichkeit und Sexualität sowie die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein für sich und andere sein. Sie fördert so Selbstbestimmung sowie ein positives Selbstwertgefühl, und ist Teil der schulischen Präventionsarbeit sowohl gegen sexuelle Gewalt als auch sexuell übertragbare Krankheiten. Zu einer altersgerechten und sensiblen Aufklärung gehört dabei selbstverständlich auch die Beschäftigung mit LSBTI-Lebensweisen“, so Stefanie Schmidt weiter. Eine altersgerechte und sensible Sexualaufklärung sei daher ein eigenständiger Aspekt des schulischen Bildungsauftrags.
Humanistischer Verband stellt sich hinter Lesben- und Schwulenverband
Laut Urteilen des Bundesverfassungsgerichts wird diese die individuelle Sexualerziehung immer auch durch das familiäre Umfeld ergänzt. „Natürlich muss sie an den Fragen und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen anknüpfen und sich in ihren Antworten an den Standards orientieren, die die Weltgesundheitsorganisation und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgearbeitet haben“, sagt LSVD-Sprecherin Stefanie Schmidt.
Deutliche Kritik an den Äußerungen aus der AfD übte auch die Psychologin Ines Scheibe vom Humanistischen Verband, u.a. Koordinatorin im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung: „Im neuen AfD-Papier spiegelt sich abermals deutlich ein nationalistisch-klerikaler Geist aus dem letzten Jahrhundert. An den Herren hinter dieser Erklärung sind offenbar mindestens viele Jahrzehnte Aufklärung spurlos vorbeigegangen. Wir stehen hinter dem LSVD und der Kritik aus der Zivilgesellschaft. Denn wo die AfD heute gleiche Rechte für nicht-heterosexuelle Menschen ablehnt, sehen wir schon die ‚Argumente‘, um übermorgen die Mehrheit von uns Frauen überhaupt zurück an den Herd zu verbannen. Also, wehret diesen Anfängen“, sagte Scheibe.
Auch bei Bündnis 90/Die Grünen äußerte man sich klar ablehnend gegenüber der Stimmungsmache aus der AfD. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck wies darauf hin, dass es keine empirische Grundlage für die Stellungnahmen gegen Gleichberechtigung und das Recht auf sexuelle und familiäre Selbstbestimmung gibt. Studien hätten vielmehr gezeigt, dass es Kindern bei gleichgeschlechtlichen Paaren mindestens genauso gut gehe.
Informierte Alternativen zu den anti-humanistischen Meinungen rechtspopulistischer Gegner des Rechts auf Selbstbestimmung wie aktuell aus der AfD gibt es genug: So wird neben den Informationsmaterialien des Lesben- und Schwulenverbandes zur Bildungsarbeit seit Juli 2016 von der Gewerkschaft Wissenschaft und Erziehung eine Handreichung angeboten.
Mit einer Broschüre zum Thema „Argumente gegen ultrakonservative, neu-rechte und christlich-fundamentalistische Behauptungen“ und dem Motto „Man wird ja wohl noch sagen dürfen, …dass Vielfalt eine coole Sache ist!“ reagierte die Gewerkschaft auf die zunehmenden Angriffe „besorgter Eltern“ und der selbsternannten „Demo für alle“ auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Die 48-seitige Broschüre schildert unter anderem, wie die Gesellschaft in den vergangenen 70 Jahren sozial und kulturell vielschichtiger geworden ist und liefert eine Vielzahl an Definitionen – von Geschlecht und sexueller Identität bis zu Regenbogenfamilien. Sie richtet sich sowohl an Lehrkräfte wie an Eltern, Pädagogen erfahren zudem, auf welcher Rechtsgrundlage sie agieren und an wen sie sich wenden können, wenn sie selbst zum Ziel diffamierender Angriffe werden. Zu den wichtigsten Argumenten in der Debatte mit Vielfaltgegnern gehöre laut GEW-Pressemitteilung der Grundsatz: „Nicht Sexualität als Tabu, sondern der tabufreie Umgang mit Fragen schützt Kinder und Jugendliche vor Missbrauch und sexualisierter Gewalt.“