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Kommentar

Schöne Bilder, viele Adjektive

„Bücher, die die Welt veränderten – Die bedeutendsten Werke der Naturwissenschaften von Archimedes bis Stephen Hawking“ ist von Brian Clegg geschrieben worden, einem der „brillantesten zeitgenössischen Science-Autoren.“

„Bücher, die die Welt veränderten – Die bedeutendsten Werke der Naturwissenschaften von Archimedes bis Stephen Hawking“ ist von Brian Clegg geschrieben worden, einem der „brillantesten zeitgenössischen Science-Autoren.“

Das sagt zumindest sein deutscher Verlag. Und tatsächlich ist Clegg Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher zu Themen, an die ich mich im Leben nicht herantrauen würden — namentlich im naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich.

„Bücher, die die Welt veränderten“ ist allerdings eher ein Bilderbuch durchaus im positiven Sinne, denn es stellt 150 Bücher aus dem Bereich (Natur-)Wissenschaften in erster Linie dadurch vor, dass einzelne Seiten oder zumindest das Cover in Farbe abgedruckt sind.

Das Öffnen des Buches löst dank dieser Bebilderung Emotionen aus, wie man sie vielleicht wiedererkennt, wenn man die Verfilmung von „Der Name der Rose“ von 1986 gesehen hat. Der junge Adson von Melk blättert hier im Jahre 1327 in herrlich illustrierten pergamentenen Schriften und schon beim Zusehen ergreift einen ein sakral-ästhetisch-wissenschaftlicher Schauer. Bebilderte Bücher sind für uns natürlich keine solche Sensation mehr und deswegen fällt der schöne Schauer auch ein wenig gedämpfter aus – aber es ist schon beeindruckend, Schriften, von denen man immer wieder gehört hat, neben solchen zu finden, die einem vollkommen neu sind, die aber trotzdem der Wissenschaft ihren Stempel aufgedrückt haben. Ästhetisch ist das Buch fraglos ein Gewinn. Doch drei Dinge trüben diesen ersten ästhetischen Eindruck. Zum einen werden aus unerfindlichen Gründen mitunter die Cover nicht der Originalausgaben, sondern der Übersetzungen einiger Bücher ins Italienische oder Spanische gezeigt. Das ist zwar auch hübsch, aber nicht nachvollziehbar. Warum wird dann nicht auch die finnische oder mongolische Übersetzung gezeigt? Es steht zu vermuten, dass hier Copyright-Überlegungen eine Rolle spielten.

Zweitens fällt gleich beim Öffnen des Buches aus, dass die Schrifttype ungewöhnlich klein ist. Man hat fast das Gefühl, auf den Text solle es nicht so ankommen – aber dann ist wiederum zu viel davon da, als dass man ihn ignorieren könnte. Bei der Lektüre zeigt sich dann, dass vieles von dem Text entbehrlich gewesen wäre. Allen voran die Adjektive. Dauernd ist davon die Rede, dass dieses oder jene Buch „berühmt“, „bemerkenswert“ oder gar „verblüffend“ sei und als Leser denkt man dann: „ja klar, sonst wäre der Text ja wohl auch nicht hier in diesem Buch erwähnt.“ Auch die oft recht detaillierte Kartierung von Geburtsorten der fraglichen Autor*innen strengt an.

Drittens wird in dem Buch immer wieder darauf hingewiesen, der oder die Autor*in habe in seinen oder ihren Annahmen „noch falsch“ gelegen. Das klingt so, als ginge der Autor davon aus, dass es eine Wirklichkeit gebe, die zu erkennen Aristoteles, Kopernikus oder Keppler noch nicht in der Lage gewesen seien. „Wie viel Mathematik würden Sie auf einer einsamen Insel erfinden?“ hat im Kontrast dazu einmal der Anthropologe Michael Tomasello bei einem Vortrag gefragt um sein Konzept des „Wagenhebereffekts“ zu erklären. Er beschreibt damit die kumulativen Effekte des Wissensaufbaus über Generationen hinweg, die sich durchaus auch in „Bücher, die die Welt veränderten“ beschrieben finden. So kann z. B. Newton auf den Überlegungen von Galilei und Keppler aufbauen – ohne sie hätte er seine „philosophia naturalis“ nicht schreiben können. Doch das Buch beschreibt nicht die Kumulation, sondern betont die Defizite der fraglichen Autor*innen.

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Und wo wir gerade bei dem Thema „Autorinnen“ sind – die erste Wissenschaftlerin, auf die Clegg unter großem gleichstellendem Tamtam hinweist ist Marie Curie. Dabei wäre hinreichend  Gelegenheit gewesen, z. B. auf Ada Lovelace hinzuweisen, oder gar auf Hypatia. Aber um Inhalte scheint es dem Autor sowieso nicht immer zu gehen – zu oft betont er den Verkaufserfolg eines Buches, als dass sich diese Schlagseite seines Werkes ignorieren ließe. Es scheint fast so, als sei das Buch aus einem Rechercheprojekt um die Frage hervorgegangen, wie sich populärwissenschaftliche Texte besonders gut verkaufen ließen.

Am Ende bleibt also eine durchmischte Bilanz. Die Texte sind lehrreich, aber zugleich mit Kaum-Informationen überfrachtet, die Bilder sind schön, aber ihre Auswahl erklärt sich nicht in jedem Fall. Dennoch bin ich froh, das Buch gelesen zu haben. Es hat einen gewissen Zug und bietet einen Schweingalopp durch mehrere tausend Jahre Bildungsgeschichte, den man andernorts so nicht geliefert bekommt.

Brian Clegg
Bücher, die die Welt veränderten
Die bedeutendsten Werke der Naturwissenschaften von Archimedes bis Stephen Hawking
Haupt Verlag, Bern 2020
272 Seiten, gebunden
36,00 €
ISBN 978-3258081991


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