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Panorama

Harte Riffs und Humanismus

Es muss nicht immer “Die Gedanken sind frei” sein: Timesphere machen harten Rock und erzählen humanistische Geschichten. So auch auf dem Album „Escape“.

Timesphere machen harten Rock und erzählen humanistische Geschichten. So auch auf dem Album „Escape“.

Es ist gut ein Jahr her – damals konnte man das noch problemlos tun und brauchte sich keine Sorgen über Abstandsregeln zu machen -, dass die Humanistische Vereinigung zu einer philosophisch-musikalischen Tagung in die Musikschule Fürth lud. Um Humanismus und Musik ging es da, unter anderem wurde auch der Frage nachgegangen, ob es denn ein humanistisches Pendant zur Kirchenmusik gebe, Musik also, die entweder in Stil oder in Texten eindeutig humanistische Botschaften transportiere.

Bis auf ein paar Klassiker („Die Gedanken sind frei“, „Imagine“) mochte dem Publikum damals wenig einfallen, oder wenigstens nichts, worauf sich alle Beteiligten in der Kürze der Zeit hätten einigen können. Über Rap, Soul, sogar über Volkslieder wurde diskutiert. Dass auch härtere Musik humanistisch sein könne, wollten die Anwesenden dagegen weniger glauben. Bekanntlich wird über Metal allenthalben kolportiert, gewalttätig, aggressiv, gar „satanisch“ zu sein. Dieser Irrglauben wirkt fort, humanistische Hymnen hat das Genre deshalb scheinbar keine hervorgebracht.

Der Eindruck täuscht – man denke nur an „Wind of Change“ der Scorpions. Und auch Timesphere beweisen, dass harte Rockmusik sehr wohl humanistische Themen behandeln kann. Auch dann, wenn man sich kein großes Etikett mit der Aufschrift „Humanist“ auf die Platte kleben mag und sich der Humanismus eher aus den Überzeugungen der Beteiligten und eben den Geschichten ergibt, die sie zu erzählen haben. „Protestsongs wie in den 1960er-Jahren oder die Punkbewegung, sie alle haben ihre Zeit gehabt, würden aber heute nicht mehr funktionieren“, sagt der Bassist Alexander Endreß. Humanistische Musik käme deshalb nicht mit dem Holzhammer daher, einen „theoretischen Überbau“, wie Endreß das nennt, gibt es aber trotzdem.

Und der Sound für diesen Überbau? Ist nicht Fisch, nicht Fleisch, in jedem Fall aber hart. „Wir alle haben ein Herz für härtere Musik“, sagt Endreß, „aber es fällt mir schwer, uns in eine Schublade zu stecken.“. Von „Progressive Rock“ schreiben Timesphere selbst auf ihrer Homepage, aber von klassischen Prog-Rockern a la Genesis trennen die Band Welten. Metal-Einflüsse sind zu hören, manches klingt hardrockig. „Wir haben einfach drauflos gespielt“, erzählt Endreß, „und das kam dann dabei raus.“ Ihr Stil mag Zufallsprodukt sein, glücklich sind Timesphere mit ihm allemal. Immerhin bieten „Rock und Metal eine große Varianz, Emotionen zum Ausdruck zu bringen.“ So wie auf ihrer letzten Platte.

Vom Skandal, der keine Normalität werden darf

Zum Jahreswechsel veröffentlichte die Band ein Konzeptalbum. „Escape“ heißt es. Das Cover ist genreüblich grau und düster, wie hinter einem Schleier eine Silhouette, die nur andeuten kann, dass ein gequälter Mensch hier aus etwas auszubrechen versucht. Es ist die musikalische Auseinandersetzung mit Missbrauchsskandalen, wie sie etwa die Odenwaldschule erschütterten. „Da hat man Missbrauchsfälle vertuscht, die Aufklärung behindert, so lange, bis die Täter eigentlich gar nicht mehr belangt werden konnten“, sagt Endreß, der das Konzept und den größten Teil der Texte schrieb. „In höchstem Maße negativ berührt“ hätten in Skandale wie diese, als Soziologen interessierten ihn dabei vor allem die Strukturen, innerhalb derer Täter geschützt operieren konnten. Und es mutmaßlich immer noch können.

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„Typisch […] sind die gnadenlosen Metal-Riffs und der stets volle Einsatz der beeindruckenden Rhythmusfraktion“, urteilte das Magazin eclipsed über „Escape“.
Hören Sie hier das Album auf Spotify.


Vor diesem Hintergrund könnte der Anspruch der Platte gar nicht größer sein. Es geht Timesphere darum, den Opfern eine Stimme zu geben. Finn heißt die Hauptperson, deren Geschichte in 14 Songs nacherzählt wird, doch könnte ihr Name auch ein anderer sein. „The victims‘ wounds are not going to heal until their stories will be told“, schreibt die Band. Gleichzeitig wollen die fünf Musiker ihren Beitrag leisten, den geschehenen Missbrauch, die erlittene Gewalt in Erinnerung zu halten, beides auch weiterhin zu skandalisieren. Die Debatten um Rassismus hätten ja sehr deutlich gezeigt, dass eine dauerhafte Auseinandersetzung durchaus Verbesserungen zeitigen kann. Umgekehrt, fordert Endreß, „muss man verhindern, dass sich das alles einschleift, dass der Missbrauch gewöhnlich wird“.

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Tüftelei statt Tour

Eine Tour hätte dabei zweifellos helfen können. Pläne dafür waren längst geschmiedet, doch die Pandemie machte Timesphere einen Strich durch die Rechnung. Und jetzt? Ihre Zeiten als hauptberufliche Musiker haben die Bandmitglieder hinter sich gelassen, heute sind Timesphere zwar ein professionelles Projekt, aber keines, mit dem jemand seinen Lebensunterhalt bestreiten müsste. Notgedrungen widmen sich die Musiker also wieder ihren regulären Berufen (Endreß zum Beispiel lehrt an der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim) – und tüfteln nebenbei am nächsten Album. Ein Konzeptalbum a la „Escape“ wird es nicht geben, glaubt Endreß. Er will kein musikalischer Wiederholungstäter sein.

Themen gehen Timesphere in diesen krisengeschüttelten Monaten freilich nicht aus. „Wir leben in einer komischen Zeit“, sagt Endreß mit Blick auf die Pandemie. „Einerseits geht es uns so gut wie nie, aber trotzdem sind wir nicht in der Lage, eine solche aufgezwängte Krise locker anzugehen.“ Gut möglich, dass sich Endreß und seine Bandkollegen diesem Phänomen annehmen. Es wird auch dann wieder hart klingen. Doch im Kern bleiben Timesphere warm und menschlich, eben: humanistisch.

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