Essay & Diskurs
Warum Schweigen keine Option ist
Mit Verschwörungsgläubigen zu diskutieren ist anstrengend und oft fruchtlos, aber ohne Alternative. Denn wer Verunsicherten helfen will, darf Verschwörungsmythen nicht unwidersprochen lassen.
Gerade in sozialen Medien sind Impfgegner*innen, sogenannte Corona-Kritiker*innen und Verschwörungsgläubige derzeit sehr aktiv. Mit ihnen zu diskutieren ist anstrengend und oft fruchtlos, aber dennoch ohne Alternative. Denn wer den Verunsicherten helfen will, darf Verschwörungsmythen nicht unwidersprochen lassen.
Von Ralf Mitschke
Es gibt bereits sehr viele Artikel, die sich mit der aktuellen Welle an Verschwörungsmythen beschäftigen und diese hervorragend analysieren und widerlegen. Ich muss diese gute Arbeit an dieser Stelle nicht wiederholen. Viel eher soll es in meinem Beitrag es deshalb darum gehen, wie man in der tatsächlichen Auseinandersetzung mit Verschwörungsgläubigen umgehen könnte.
Als erstes, wichtiges Grundprinzip gilt: Vermeiden Sie, wenn möglich, jeden Kontakt mit Anhänger*innen von Verschwörungsmythen. Das mag harsch klingen und wahrscheinlich wird entgegnet werden: Sollte man nicht gerade das Gespräch mit diesen Menschen suchen, sie von der Falschheit ihrer Ideen überzeugen und dabei noch ganz nebenbei beweisen, dass sie nicht von gesellschaftlichen Debatten böswillig ausgeschlossen werden, wie sie es selbst gerne behaupten?
Dazu gibt es eine einfache, wissenschaftlich fundierte Antwort: Nein.
Wer sich Fakten zurecht biegt, will nicht diskutieren
In einer aktuellen Studie der Universität Osnabrück beschreibt die Sozialpsychologin Julia Becker die Teilnehmer*innen der sogenannten Hygiene-Demos wie folgt: „Bezogen auf ihre Persönlichkeit neigen sie eher zum Machiavellismus, was bedeutet, dass sie anderen Menschen gegenüber eher misstrauisch sind und ihnen auch eher unethische Mittel recht sind, um Ziele zu erreichen.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Das bedeutet, sie würden lügen, um Ziele zu erreichen.“
Dies erklärt, warum deren Kommunikationsstrategien meist instrumentell sind, also entweder dem Zweck dienen, verunsicherte Personen zu „missionieren“ oder durch verbale Eskalation Gegenreaktionen zu provozieren, die ihre heroisierende Selbstdarstellung bestätigen sollen. Zudem, so Becker, seien viele Verschwörungsgläubige Narzisst*innen, getrieben vom dem „(…) Bedürfnis, etwas Besonderes zu sein“.
Schlechte Karten für eine offene Diskussion, die zudem die Gefahr birgt, Verschwörungsmythen durch zu viel an Aufmerksamkeit weiter aufzuwerten. Zur Erinnerung: Es ist nicht einmal 5 Jahre her, dass ein betuliches „mit Rechten reden“ dafür sorgte, dass „besorgte Bürger*innen“ ihre menschenverachtenden Ideologien in Parlamente und die politische Entscheidungsfindung tragen konnten und bis heute können.
Aber leider sind Ignorieren und Distanzieren im gesellschaftlichen Kontext nicht immer möglich. Ganz im Gegenteil. Das peinliche Gruppenschweigen, das sich bei Familientreffen einstellt, wenn Onkel und/oder Tante wieder ihren antisemtisch-esoterischen bullshit (Harry Frankfurter) ausbreiten, führt – bezogen auf unser Thema – niemals zu einer Selbstreflexion der Verschwörungsideolog*innen, sondern bestätigt sie nur in ihrem narzisstisch-machiavellistischen Weltbild. Auch hier dienen die Entwicklungen des Jahres 2015 (oder auch die der frühen 1990er Jahre) durchaus als eindrucksvolles Negativbeispiel: Die Wende von einer überraschend altruistischen „Willkommenskultur“ hin zu offenem Rassismus und Chauvinismus binnen weniger Wochen fand nicht statt, weil Millionen Menschen plötzlich ihre Meinung geändert hatten. Vielmehr verfielen die Anhänger*innen von Empathie und Menschenrechten zunehmend in Schweigen unter dem rasenden Ressentimentgepolter, welches unwidersprochenen Widerhall in großen Teilen von Medien, Politik und Popkultur fand.
Der Journalist Thomas Konicz weist zudem darauf hin, dass diese Gewichtsverlagerung in der Wahrnehmungsökonomie einer Gesellschaft besonders gefährlich wird, wenn der laute Wahn einer Minderheit auf spezifische Lobbyinteressen trifft. So fabulierte etwa der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, von einer Wut in der Bevölkerung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Tatsächlich befürworteten verschiedenen Umfragen zufolge zwischen 70 und 90 Prozent der Bevölkerung den sehr maßvoll durchgeführten, sogenannten Shutdown, doch genügten schon die lauten Klagen seiner wenigen Gegner*innen, um eine fahrlässige Lockerungs-Rally in Gang zu setzen, deren Auswirkungen noch zu bewerten sein werden.
Doch was tun?
Verschwörungsgläubige eines Besseren zu belehren schadet mehr, als es hilft, soviel scheint klar. Doch gilt wie auch in der Nothilfe im Alltag, wenn Menschen verbal oder physisch attackiert werden: Nicht um die Täter*innen müssen wir uns kümmern, sondern um ihre (potentiellen) Opfer.
Weisen wir also alle verunsicherten Menschen darauf hin, dass es nachvollziehbare Daten zur Gefährlichkeit von Covid-19 gibt. Erklären wir, welche antisemitischen und vernunftfeindlichen Weltbilder „Corona-Kritiker*innen“ vertreten. Stellen wir klar, dass immer neue, teilweise dem alten Wissensstand widersprechende Erkenntnisse nicht etwa eine Schwäche, sondern umgekehrt eine Stärke der Wissenschaft sind, die sich nicht mit ewigen Wahrheiten zufrieden gibt, sondern diese immer wieder kritischen Prüfungen unterzieht.
Zeigen wir, dass es eine Mehrheit dafür gibt, dass keine „(…) Menschen geopfert [werden], damit man (…) im Café sitzen kann.“ (Karl Lauterbach zu Schwedens „Sonderweg“). Und halten wir allen, die Verschwörungsmythiker*innen in die Debatte einbinden und auf sie zugehen wollen, um eine vermeintliche gesellschaftliche Spaltung zu verhindern, die Worte des Soziologen Harald Welzer entgegen: „Was hat es denn mit Spaltung zu tun, wenn ein paar tausend Leute, unter ihnen ein paar Wahnsinnige und viele Rechte, auf die Straße gehen? Da wird ein Protest mit Relevanz versehen, der keine hat.“
Und ganz konkret: Wenn das nächste mal jemand in Supermarkt, Kinderkrippe oder im öffentlichen Nahverkehr über die Maßnahmen mault oder nicht willens ist, zwei Minuten ein kleines Stück Stoff auf seinem Gesicht zu belassen, bedanken Sie sich doch mal offen beim Personal für die wichtige und richtige Umsetzung der Schutzmaßnahmen, ohne die womöglich zehntausende Menschen sterben würden.