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Coronakrise: Das rät eine Expertin bei Isolation, Sorgen und Ungewissheit

Die Psychologin und Psychotherapeutin Nicole Joisten will helfen zu erklären, warum die Coronakrise Symptome psychischer Erkrankungen auslösen oder verstärken kann und welche Maßnahmen sinnvoll sind.

Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf unsere psychische Gesundheit aus. Die Psychologin und Psychotherapeutin Nicole Joisten will helfen zu erklären, warum die aktuelle Situation Symptome psychischer Erkrankungen auslösen oder verstärken kann und welche Maßnahmen sinnvoll sind.

Foto: Foto: Unsplash / Sharon McCutcheon

Die Corona-Krise bedeutet für jede*n einschneidende Veränderungen. Familie und Freunde können zum Teil nur noch aus der Ferne kontaktiert werden. Viele Hobbys fallen durch die staatlich angeordneten Schließungen aus. Der Job wird ins Homeoffice verlegt, bricht ganz weg oder bedeutet in systemrelevanten Berufen Mehrarbeit unter extremen Bedingungen. „Die aktuelle Situation erzeugt einerseits Stress und kann dadurch dazu führen, dass die kritische Schwelle, ab der Symptome psychischer Erkrankungen auftreten, überschritten wird“, sagt dazu Nicole Joisten, Professorin an der International School of Management (ISM). „Andererseits fehlen uns mitunter wichtige Ressourcen wie Hobbys oder soziale Beziehungen, um unsere Widerstandskraft zu steigern.“

Welche Symptome in Krisensituationen auftreten, hängt von der persönlichen Vulnerabilität, also der durch Genetik, Prägung und Erfahrung entstandenen Anfälligkeit für die jeweilige Symptomatik ab. Aber: „Durch den Ausbruch einer Pandemie werden insbesondere Krankheitsängste angesprochen und damit verstärkt oder ausgelöst“, so Joisten. „Weil wir den Eindruck haben, die Welt sei aus den Fugen geraten, werden auch Zwänge besonders verstärkt. Wenn ich mir zum Beispiel nur oft und gründlich genug die Hände wasche, glaube ich, das Ansteckungsrisiko kontrollieren zu können. Hinter zwanghaftem Verhalten steht der Versuch, wenigstens einen Teil der eigenen kleinen Welt kontrollieren zu können, wenn schon alles andere im Umbruch ist.“

Ängste nicht verdrängen, bei Bedarf professionelle Hilfe suchen

In der aktuellen Situation ist es schwer, den Übergang von normalem zu pathologischem Verhalten zu definieren. „Die Grenzziehung ist derzeit schwierig und genau das öffnet der schleichenden Entstehung von psychischen Erkrankungen Tür und Tor“, so Joisten. Gründliches Händewaschen sei wichtig, aber wo ist es gründlich genug?

„Starke Emotionen, Ängste, sich anzustecken oder seinen Arbeitsplatz zu verlieren, aber auch Gefühle von Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit oder Wut sind in einer solch außergewöhnlichen Situation zunächst einmal völlig normal.“ Wichtig ist es, sich darüber bewusst zu sein und die eigenen Ängste nicht zu verdrängen. Hier entsteht ansonsten schnell ein Teufelskreis.

Joisten empfiehlt, sich an bewährten Bewältigungsstrategien zu orientieren, wie z. B. Ablenkung: das kann für den einen eine spannende Serie, für den anderen ein größeres Projekt oder das Gespräch mit Freunden sein. Neben einem reellen Optimismus führen auch Humor, Akzeptanz, Disziplin und Selbstwirksamkeit zu mehr Stresskompetenz. Ebenso kann das Niederschreiben des Erlebten und der eigenen Gedanken der Stressverarbeitung dienen.

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Keine geeignete Strategie dagegen ist der Versuch, die Emotionen mit dem Konsum von Tabak, Alkohol, Drogen oder übermäßigem Medikamentengebrauch zu regulieren. Im Zweifel ist es ratsam, rechtzeitig einen Psychotherapeuten aufzusuchen, da die Symptome bei frühzeitiger Behandlung oft vollständig zurückgehen. Die meisten Psychotherapeuten haben ihre Praxen weiterhin geöffnet, wenn auch zum Teil auf Videobehandlungen umgestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung hat eine Videobehandlung derzeit auch für eine Eingangsdiagnostik, also den Beginn einer Psychotherapie erlaubt.

Hilfreich sind unter anderem eine klare Tagesstruktur und Bewegung

Auch für Depressionen bildet die aktuelle Situation einen Nährboden. Vorbeugend helfen hier eine klare Tagesstruktur, der Aufbau angenehmer Aktivitäten und die Ausweitung oder Reaktivierung des sozialen Netzwerks. „Konkret kann das heißen, zeitig aufzustehen, auch wenn man nicht muss, den Tag zu planen, körperlich aktiv zu bleiben und Dinge zu tun, die man vielleicht schon lange tun wollte“, erklärt Joisten.

„In bedrohlichen Situationen wachsen Menschen oft über sich hinaus“ – Angst hat unserer Spezies geholfen, so lange zu überleben, erinnert der Psychologe und Angstforscher Georg W. Alpers im Interview. Es komme dabei aber immer auf die richtige Balance an. Und auch er rät davon ab, Ängste oder Befürchtungen zu verdrängen: „Einfach nur die eigenen Sorgen auszusprechen und zu benennen, kann oft schon helfen.“ Weiterlesen…

Neben den belastenden Auswirkungen lassen sich aber auch positive Effekte in der Krise feststellen. Für einige wirken die fehlenden fremdbestimmten Termine, ausbleibende Fahrzeiten und die Zeit mit der Familie entschleunigend. Außerdem hat sich ein gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. „Das Gefühl, im selben Boot zu sitzen, wird von Politik und Medien gefördert. Zugleich und dadurch steigt unsere Hilfsbereitschaft. Hilfestellungen für andere bestärken das Gefühl eigener Selbstwirksamkeit. Zudem wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen, dass hilfsbereites Verhalten dazu führt, dass wir mehr Glück empfinden. Dies alles kann sich jetzt positiv auswirken.“ (idw)

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