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Gläserne Wände - Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland

Essay & Diskurs

Metapher und Wirklichkeit: Von Eisbergen und Hufeisen

Die hyperkomplexe Welt, in der wir uns bewegen, wird in den kommenden Jahren sicherlich nicht einfacher werden. Wir sollten uns deswegen bewusst sein, dass die Begriffe, die wir uns von ihr machen immer nur leihweise auf sie Anwendung finden können.

Die Linke-Politikerin Susanne Hennig-Wellsow (r.) hat Thomas Kemmerich, dem am 5. Februar 2020 mit den Stimmen der AfD-Fraktion in das Amt des Thüringer Ministerpräsidenten gewählten FDP-Politiker, die Blumen vor die Füße geworfen. Foto: © picture alliance/Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Um uns beim Denken zu helfen, nutzen wir häufig die Methode der Metapher (griech.: Übertragung). Das fängt schon im Kleinen an. Wir sagen Stuhlbein und meinen nicht, dass uns das Möbel weglaufen könnte, sondern übertragen die Erfahrung des Stehen-Könnens auf eine Maschine, die ebenfalls stehen kann. Genauso wenig läuft ja auch ein Uhrwerk, nur können wir uns sein Tun besser vorstellen, wenn wir es auf unsere Lebenswelt übertragen. Übertragung ist also ein ganz normaler Trick, den wir Menschen anwenden, um die Welt zu beschreiben, in der wir leben.

Das Bemerkenswerte ist nun aber, dass wir diese Übertragungen mitunter für die Welt selbst halten, dass wir Metapher und Wirklichkeit verwechseln. Im alltäglichen Zusammenhängen fällt uns diese Verwechslung meistens auf und dann finden wir sie komisch, wie z. B. in dem Kindergedicht, wo es heißt: „Ein Stuhl der hat zwei Beine, dann leih‘ ich ihm halt meine.“ Der Witz funktioniert, weil die Rückübertragung des Beines vom Stuhl auf den Menschen nicht funktioniert. Wir wissen also, dass eine Übertragung eine Übertragung ist und im Bezug auf das Übertragungsobjekt einen eigenen, neuen Sinn bekommt. Diese sprachliche Kompetenz hat jedes Kind.

Wie kommt es dann nur, dass manche Metaphern als Realitäten angenommen werden, obwohl sie schon im Akt der Erstübertragung nicht sonderlich klug waren? Wie kommt es, dass z. B. Eisbergmodelle, die das Übergewicht nicht-bewusster Vorgänge in Unternehmenskulturen illustrieren sollen, wahrnehmungsleitend werden? Wie kommt es, dass innerorganisationelle Konflikte als Zusammenprall zweier Eisberge dargestellt werden, obwohl schon die Darstellung der Unternehmenskultur als Eisberg fragwürdig ist (denn: Warum sollte eine Organisation überhaupt ein Eisberg sein? Sie ist doch schon eine Organisation). Mich fasziniert, dass es offensichtlich Bereiche gibt, in denen das sprachliche Kinderspiel, Metaphern als solche zu erkennen, mitunter misslingt. Mein Verdacht ist, dass überkomplexe Situationen dazu verleiten, die Metapher mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

Das wird m. E. besonders deutlich, wenn man sich mit politischem Extremismus beschäftigt. Schon allein die Zuordnung politischer Strömungen als rechts oder links ist hier interessant. Denn: Warum sollte sich Politik Raumbegriffen anpassen? Ist die Einteilung von rechter und linker Politik nicht in erster Linie parlamentarische „Gesäßgeographie“ (N. Blüm), oder gar eine „banale Raummetapher“ (N. Bobbio)? Am politischen rechts-links-Schema zeigt sich, dass wir Menschen „zusammen mit anderen Primaten vermutlich das ausgebreitetste Raummodell besitzen, das es im Tierreich gibt“ (K. Eibl). Wir ordnen alle möglichen Erscheinungen in ein Raummuster, weil wir es können. Doch nur, weil wir räumlich denkende Wesen sind, muss doch die Wirklichkeit nicht räumlich geordnet sein.

Dennoch verharrt die Wahrnehmung des politischen Extremismus dermaßen in Raumkategorien, dass sie diese immer weiter verfeinert. Da ist dann vom rechten Lager oder vom Überholen von links die Rede, ohne dass die soziale Wirklichkeit in diesen Redeweisen überhaupt noch Niederschlag findet. Die Darstellung des Extremismus auf einer über Linksextremismus, Linksradikalismus, demokratische Mitte, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus verlaufenden Achse ist dermaßen verliebt in die Raummetapher, dass der Hinweis z. B. der diversen Faschismen, sie verstünden sich als „weder rechts noch links“ stehend (Z. Sternhell) großzügig überhört wird. Dabei meinen Nazis es durchaus ernst, wenn sie z. B. singen, sie fühlten sich von (linker) Rotfront und (rechter) Reaktion gleichermaßen bedroht.

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Doch ist die Raummetapher hier stärker als jede Wirklichkeit. Sie wird sogar zum Hufeisen verbogen, um z. B. die Beobachtung einzufangen, dass Extremismen sich mitunter (z. B. personell) berühren.

Der große Soziologe Gabriel Tarde hat darauf hingewiesen, dass der politische Körper keine klaren Grenzen hat: „Der auffälligste Kontrast zwischen den Nationen und den lebenden Körpern besteht darin, dass die lebenden Körper definierte und symmetrische Umrisse haben, während sich die Grenze der Nationen (…) mit einer launenhaften Unregelmäßigkeit auf dem Erdboden abzeichnen“ (Monadologie und Soziologie, S. 53). Er erklärt sich dieses Phänomen „mit dem Geselligkeitstrieb, der im Menschen (…) den Wunsch erweckt, sich mit anderen zusammenzuschließen.“

Der politische Körper ist also unsymmetrisch, weil er durch das Zusammenleben der Menschen entsteht, die sich ihm anschließen. Er hat keine politischen Ränder (weder rechts noch links), weil er für sich genommen formlos ist. Extremismus ist also nicht in der Symmetrie unterstellenden Raummetapher unterzubringen, sondern muss nach den Lebensbedingungen der assoziierten Menschen fragen. Und nur hier macht der Begriff des Extremismus Sinn: Wenn politische Bewegungen das Zusammenleben der Menschen so gestalten möchten, dass es für zumindest einige der Teilnehmer der Assoziation unerträglich wird. Extremismus erkennt man also z. B. an der Ablehnung von Menschenrechten und an systematisch entwürdigenden Politikpraktiken. Aber nicht anhand einer Raummetapher.

Die hyperkomplexe Welt, in der wir uns bewegen, wird in den kommenden Jahren sicherlich nicht einfacher werden. Wir sollten uns deswegen bewusst sein, dass die Begriffe, die wir uns von ihr machen, immer nur leihweise auf sie Anwendung finden können. Wer aber Metapher und Wirklichkeit verwechselt, endet damit, dass er beide verbiegt.

Prof. Dr. Jonas Grutzpalk ist beruflich tätig an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Bielefeld. Daneben engagiert sich der Familienvater im Auswahlausschuss des Humanistischen Studienwerks und gelegentlich als Feiersprecher für Bielefeld/Ostwestfalen-Lippe. Website: grtzplk.de

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