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Gläserne Wände - Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland

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Rechter „Kulturkampf“ bedroht Freiheit der Kunst – aber die wehrt sich!

Die nationalistischen und rechtspopulistischen Angriffe gegen Kultureinrichtungen und –schaffende lassen nicht nach und haben längst auch die parlamentarische und juristische Ebene erreicht. Die Gegenbewegung formiert sich und erarbeitet Strategien zum Schutz. Dringend notwendig, denn eine unabhängige und offene Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind elementare Grundpfeiler eines gelebten Humanismus.

Die nationalistischen und rechtspopulistischen Angriffe gegen Kultureinrichtungen und –schaffende lassen nicht nach und haben längst auch die parlamentarische und juristische Ebene erreicht. Verschiedene Gegenbewegungen formieren sich und entwerfen Strategien zum Schutz. Dringend notwendig, denn eine unabhängige und offene Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind humanistische Grundpfeiler.

Quelle: Die Vielen e.V.

Vorhang auf für die nächste Offensive von Rechtsaußen: Neben Hetze, Angriffen und Morden, vor allem gegen Flüchtlinge, Andersdenkende, Politiker*innen oder ein freies Europa und immer neuen, digitalen Angst- und Hasswellen haben Extremisten und Anhänger der rechts-nationalen Szene zuletzt ein neue Zielscheibe entdeckt: Die als zu links oder zu weltoffen, auf jeden Fall als nicht national genug empfundene, deutsche Kulturszene. Insbesondere Theater und Künstler*innen erleben mittlerweile regelmäßig Störaktionen, Hass-Emails und Einschüchterungen und mussten sogar mitansehen, wie Inszenierungen von rechten Gruppen gekapert wurden.

So geriet beispielsweise die Vorstellung „Gala Global“ am Deutschen Theater im vergangenen Jahr ins Visier der Rechten. Die grölten per Megafon Parolen, verteilten Flugblätter und erzwangen so den Abbruch der Veranstaltung. Oder die Aktion einiger junger Frauen, die bei einer Diskussion im Rahmen der #metoo-Debatte die Bühne enterten und ein Transparent entrollten. Mit den dabei produzieren Bildern wird die Störaktion dann via sozialen Medien verbreitet und als Aufstand von Patriot*innen für wahre Meinungsfreiheit umgedeutet.

Tag der offenen Türe im Theater Altenburg, Foto: Ronny Ristok, Quelle: Theater Gera Altenburg

Große mediale Beachtung fanden die Vorgänge ums Theater Altenburg Gera, die zeigten, wie weit Einschüchterungen und die Einschränkung der Kunstfreiheit schon gehen können. Ouelgo Téné aus Burkina Faso spielte die Hauptrolle in „Der Hauptmann von Köpenick“. Dort gab es zwar keine Aktionen oder Interventionen, dennoch haben er und drei weitere Künstler*innen mit Migrationshintergrund das Haus verlassen – auch wegen rassistischer Anfeindungen in der Stadt. Zuvor hatte das „Bürgerforum Altenburger Land“ dazu aufgerufen, das Theater zu boykottieren. „Dieser Alltagsrassismus, den es immer gab und immer geben wird, traut sich zunehmend aus der Deckung und wirkt sich aus. Alltagsrassismus verändert eine Gesellschaft.“ sagt Intendant Kay Kuntze.

Zum Teil, etwa in Berlin und Hamburg, musste die Kunstfreiheit vor Gericht verteidigt werden. Falk Richter inszenierte an der Schaubühne Berlin das Stück „Fear“, in dem es auch den Sprachgebrauch innerhalb der Neuen Rechten geht. Beatrix von Storch (AfD) klagte erfolglos gegen das Stück, weil darin Fotos von ihr verwendet wurden.

Da sind aber neben den offenen Anfeindungen, Klagen und Anzeigen auch die zahlreichen parlamentarischen Anfragen, die den Eindruck erwecken sollen, dass eine breite bürgerliche Gruppe unzufrieden mit den Inhalten und der Ausrichtung der Kulturlandschaft sei. Zudem stilisiert sich die Rechte selbst als Opfer, weil die Freiheit der Kunst genutzt werde, um sich gegen die AfD zu wenden. Dies ist ein Teil ihrer nationalen Verschwörungstheorie. 2019 mehren sich solche Vorstöße, die so im Deckmäntelchen demokratischer und rechtsstaatlicher Funktionen auftauchen. So beantragten Abgeordnete der AfD schon im Berliner Kulturausschuss, dem Deutschen Theater die Zuschüsse zu kürzen. Mit diesen zwei Strategien tritt der Kulturkampfs von rechts parallel auf: Aktionen gegen Einrichtungen oder Veranstaltungen und gleichzeitig parlamentarisch Kulturinstitutionen unter Druck setzen und beeinflussen.

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Es ist eine lange Liste, die jetzt ARD- und SZ-Redakteur*innen zusammengetragen haben. Eine bedrückende Sammlung , die verdeutlicht, dass es längst nicht mehr nur um Einzelfälle geht, sondern dass Anhänger der neuen Rechten die Kultur längst als neues „Kampfgebiet“ entdeckt haben und Kultur-Schaffende flächendeckend ins Visier nehmen. Dabei ist die Kunstfreiheit als eines der am stärksten geschützten Grundrechte verankert, zusammen mit dem Schutz aller künstlerischer Ausdrucksformen.

Wirklich neu sind die gezielten Attacken gegen Kulturschaffende aber nicht. Gerade die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ versucht schon seit Jahren, so die Freiheit der Kunst in Frage zu stellen und auf sich und ihre Ansichten aufmerksam zu machen. So etwa störten 2016 mehrere Männer gezielt eine Podiumsdiskussion zwischen Jakob Augstein und Margot Käßmann und brüllen dabei rechte Parolen. Obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz die Gruppe nach mehrjähriger Prüfung als klar rechtsextremistisch eingestuft hat und überwachen lässt, sind auch in anderen Bereichen ähnlich provokante und zum Teil kriminelle Angriffe erfolgt. Etwa die etwa 50 Personen, die 2017 versucht haben, das Bundesjustizministerium in Berlin zu stürmen oder die Angriffe auf Redaktionen und Parteibüros in mehreren deutschen Städten Anfang diesen Jahres, bei denen sogar die Mitarbeiterin einer Zeitung verletzt wurde.

Dr. Marc Jongen, MdB, AfD, Quelle: Deutscher Bundestag, Foto: Achim Melde

Ganz unumwunden sagt dann auch der kulturpolitische Sprecher der AfD, Marc Jongen, im Bundestag: „Wir befinden uns zweifellos in einem Kulturkampf“. Oder auch als direkte Kampfansage: „Es wird mir eine Freude sein, die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen.“ Mit diesen Statements bestätigt er die Eindrücke vieler Kulturschaffender, dass gezielt politischer Druck auf sie ausgeübt werden soll.

Um auf diesen „Kulturkampf“ von Rechtsaußen hinzuweisen und zum Selbstschutz schließen sich in immer mehr Kulturschaffende zusammen und feilen an Gegenstrategien. Die bekannteste und breiteste Gemeinschaftsaktion wurde 2017 mit dem Verein „Die Vielen“ gegründet, um die Freiheit der Kultur aktiv zu verteidigen. In ihm solidarisieren sich Künstler*innen, Kulturmacher*innen, Autor*innen, Institutionen und Privatpersonen zusammen. Im Moment mobilisieren etwa zweieinhalbtausend Kultureinrichtungen in regionalen Gruppen zur Gegenwehr, organisieren Projekte, Kundgebungen und Diskussionen und machen in verschiedenen Erklärungen auf diese bedrohliche Entwicklung aufmerksam.

Glänzende Demo „Unite and Shine“ in Wien, Quelle: Die Vielen e.V.

Der Verein für Demokratische Kultur in Berlin will mithilfe der Berliner Senatsverwaltung und des Bundesprogramm „Demokratie leben!“  Theater unterstützen, um sich wehren zu können. Zumindest gibt schon einmal die Broschüre „Alles nur Theater?“ Vorschläge für den richtigen Umgang mit Angriffen oder Anfeindungen, etwa: „Bei tendenziösen Anfragen nicht die Ruhe verlieren“ oder: „Nicht das Wort nehmen lassen.“ Diese Vorschläge seien in der Beratungspraxis entstanden, berichtet Autor Hamid Mohseni in der Rheinischen Post. Und dass sich Anfragen von Theatern und freien Gruppen gehäuft hätten. „Ziel rechtsextremer und rechtspopulistischer Gruppierungen ist es, die Freiheit im Kunstraum zu nutzen, um extreme Positionen auszusprechen, die auf die Abschaffung der Werte der Aufklärung und der Menschenrechte hinauslaufen“, sagt Mohseni, „sie nutzen die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, wenn sie Theater angreifen, inszenieren sich aber selbst als Opfer der Meinungsfreiheit, wenn die Angegriffenen sich gegen beleidigende, pauschalisierende Aussagen wehren.“

Quelle: Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

Erarbeitet wurde „Alles nur Theater?“ von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Projektleiterin Bianca Klose empfindet die Zunahme rechter Anfeindungen gegen die Freiheit im Kunst- und Kulturbetriebs als ein Symptom eines gesellschaftlichen Rechtsrucks. Ihre Empfehlung an die Theater lautet klare Haltung zu zeigen und nicht zurückzuweichen. Sich hinter einem vorgeschobenen Neutralitätsgebot zu verstecken, empfindet sie bereits als eine Art Unterwerfung.

Immerhin wollen die staatlichen Theater in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen künftig in ihrer Arbeit verstärkt gesellschaftspolitische Veränderungen aufgreifen und sich einmischen: Der MDR veröffentlichte jüngst eine Umfrage, in der sich 31 von 32 Intendant*innen für einen Aktualitätsbezug gegenüber Rechtspopulismus oder digitalen Medien ausgesprochen haben.

Weit muss man nicht über den deutschen Tellerrand hinaus schauen, um zu erkennen, dass beispielsweise in Polen, Ungarn oder Österreich, wo rechte und nationale Kräfte an die Hebel der Macht gelangt sind, diese dann auch ganz ungeniert nutzen, um demokratische Werte auszuhöhlen und pluralistische Ansichten im Kulturbetrieb und der Gesellschaft zum Schweigen zu bringen. Über die Kampagnen-Plattform change.org haben mittlerweile fast 80.000 Menschen die „Brüsseler Erklärung für die Freiheit der Kunst“ unterzeichnet.

Eine neue TV-Dokumentation von Karsten Gravert befasst sich ausführlich mit dem Kampf um die Kultur. „Kulturkampf von rechts – Ist die Freiheit der Kunst in Gefahr?“ zeigt, wie beispielsweise die AfD gegen Theater vorgeht und wie versucht wird, die Kunstfreiheit zu beschneiden. Darin kommt auch der Fall des „Zentrums für Politische Schönheit“ zur Sprache. Gegen die Aktionskünstler initiierte ein der AfD nahe stehender Staatsanwalt ein (mittlerweile eingestelltes) Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung“. Im Film geht es aber auch um die Vorgänge rund um die Leipziger Jahresausstellung, bei der ein der AfD-naher Maler ausgeschlossen wurde. Das wurde wiederum von der AfD als ein Angriff auf die Freiheit der Kunst angeklagt.

Und als ob alle diese Fälle nicht schon Gefahr und Aufgabe genug für die deutsche Kulturszene wären, wird diese jetzt womöglich auch auf europäischer Ebene zusätzlich geschwächt. Die angehende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will erstmals keine*n explizite*n Komissar*in für Kultur und Bildung einsetzen, was ein harter Schlag für Kunst und Kultur als Rückgrat der Gesellschaft und für ein aus humanistischer Sicht elementares Betätigungsfeld des Menschen wäre.

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