Kommentar
Denn sie wissen, was sie tun
Am frühen Morgen nach der Wahl im Bundesland Sachsen kann man sich verwundert die Augen reiben – fast ein Drittel der Wähler*innen in diesem Bundesland hat sich für die AfD entschieden. Eine Partei, die mindestens in Teilen rechtsradikal ist, und dabei hätte man einen hochkonservativen CDU-Landesverband als Alternative gehabt.
Von Anja Besand, TU Dresden
Am frühen Morgen nach der Wahl im Bundesland Sachsen kann man sich verwundert die Augen reiben – fast ein Drittel der Wähler*innen in diesem Bundesland hat sich für die AfD entschieden. Eine Partei, die mindestens in Teilen rechtsradikal ist, und dabei hätte man einen hochkonservativen CDU-Landesverband als Alternative gehabt. Man kann die Koffer packen – nicht wenige haben das schon getan – oder man kann sich den Staub aus dem Pelz klopfen und weiter machen. Weiter machen? Aber mit was? Mit Dialog und Bratwurstgrillen? Ich glaube nicht.
Im Folgenden möchte ich einige Gedanken zur Zukunft der politischen Bildung im Bundesland Sachsen zusammenstellen. Nicht alle stammen von mir – die besten kommen von Menschen, mit denen ich arbeite, diskutiere und die mir helfen, immer wieder einen neuen Anfang zu machen. Weil ich glaube, dass wir alle einen neuen Anfang brauchen und neu anfangen immer wieder schwierig ist, teile ich sie an diesem düsteren Morgen.
Was wir festhalten und von was wir ausgehen können: In Sachsen hat die AfD mehr als 27 Prozent der Wähler*innenstimmen erhalten. Im ländlichen Raum sind die Zahlen bei weiten schlimmer. In vielen (wirklich vielen) Gemeinden hat die AfD nahezu 50 Prozent der Wähler*innenstimmen erhalten. Jörg Schönenborn, der Chefwahlauswerter der ARD, sagt: Es sind insbesondere die schrumpfenden Gemeinden und Landstriche, in denen die AfD so stark ist. Diesen Wähler*innen ist wohlbewusst, wen sie gewählt haben. Sie sind nicht dumm. Wir können und sollten sie ernst nehmen und nicht paternalistisch als fehlgeleitete Irre behandeln. Sie wissen, was die AfD ist und will und sie wollen das auch. Sie wollen Geflüchtete lieber im Mittelmeer ertrinken lassen, als sie in Sachsen aufzunehmen. Sie halten den Klimawandel für eine Erfindung von Greta Thunberg und die bundesrepublikanische Demokratie für eine Diktatur. Sie kennen auch die Geschichte und wissen, wohin das alles führen kann. Aber das ist ihnen alles lieber, als den Zumutungen einer globalisierten Welt ins Auge zu blicken, die Langsamkeit und Komplexität demokratischer Verfahren weiter zu ertragen.
Im Bundesland steht uns eine schwierige Regierungsbildung bevor, in der Fraktionen mit einander ins Gespräch kommen müssen, die das in dieser Weise nicht geübt haben. Auf was werden sie sich verständigen können? Wahrscheinlich auf mehr politische Bildung. Die politische Bildung soll richten, was die Politik nicht mehr erklären kann – vor allem im ländlichen Raum. Aber wie sollen wir junge Lehrer*innen motivieren in Umgebungen zu arbeiten, in denen die extreme Rechte die Oberhand haben. Wie sollen sie eine menschenrechtsorientierte politische Bildung machen, wenn Eltern gegen eben diese Bildungsangebote protestlaufen? Das kann bislang niemand so richtig erklären. Wir bieten ihnen einfach ein bisschen mehr Geld – Schmerzensgeld.
In der politischen Bildung im Bundesland Sachsen werden wir in den nächsten Jahren mehr Druck aushalten müssen. Druck von Seiten derer, die sich viel von politischer Bildung versprechen und die sie finanziell von innen und außen unterstützen werden und Druck von denen, die die politische Bildung als Bevormundung sehen, sie als Staatsbürgerkunde beschimpfen, ihre Position durch eine „bürgerliche Mitte mit Volksparteicharakter“ weiter legitimiert sehen und mit diesem Rückhalt in Zukunft noch stärker gegen politische Bildung vorgehen werden. Mit mehr Meldeplattformen, mehr Dienstaufsichtsbeschwerden, mehr kleinen Anfragen, mehr Shitstorms und mehr von etwas, was wir heute noch gar nicht kennen. Die politische Bildung in Sachsen wird dadurch stärker werden. Sie wird sich durch diese Angriffe und den Widerstand, der gegen sie vorgetragen wird, weiter qualifizieren. Hoffentlich! Denn nicht wenige Akteure haben heute Angst. Angst, wie ihre Initiative/ihr Träger in Zukunft dastehen wird. Wer ihnen beisteht, wenn sie angegriffen werden.
Helfen werden uns nur Solidarität und Netzwerke. Wir werden uns zusammenschließen und uns gegenseitig unterstützen müssen innerhalb des Bundeslandes und über das Bundesland hinaus. Wir sollten vorbereitet sein auf Angriffe und uns von diesen gleichzeitig nicht einschüchtern lassen. Jetzt in den Kampfmodus zu verfallen bringt uns nicht weiter. Es hilft nichts, uns zu sehr auf die AfD und die rechten Netzwerke zu konzentrieren und ihre Angriffe persönlich zu nehmen. Es geht gar nicht um uns. Wir sind nur eine Projektionsfläche. An unserem Beispiel will man zeigen was passiert, wenn man widerspricht. Wir müssen sie vergessen und uns in unserer Arbeit auf die konzentrieren, die sich überhaupt noch erreichen lassen.
Wenn 30 Prozent der sächsischen Bevölkerung rechtes Gedankengut schon in Ordnung finden oder das System als so korrupt wahrnehmen, dass ihnen jegliche Folgen ihres Handelns ganz egal sind, dann müssen wir die Menschen stärken, die in der täglichen Auseinandersetzung noch bereit sind so etwas wie Grenzen zu ziehen und sichtbar machen zu wollen. Diese Gruppe muss ermutigt werden sich nicht zurückzuziehen, sich nicht von zu einfachen und sehr alten Antworten blenden zu lassen, für demokratische Werte einzustehen und Lust an politischer Einmischung zu behalten. Es geht um Mut, Empowerment und Hoffnung.
Diese Haltungen müssen unsere Arbeit prägen und dazu dürfen wir uns selbst nicht einschüchtern lassen. Wir dürfen nicht gehen, wir bleiben hier und wir zeigen, wie es geht. Grundlage unserer Arbeit sind dabei Menschenrechte. Das müssen wir immer klarstellen und damit wird automatisch klar: Die Arbeit der AfD steht zu vielen dieser Rechte in hoher Spannung. Aber nicht nur die AfD verletzt Menschenrechte. Dass sich Ungerechtigkeiten vergrößern, ist keine Erfindung der AfD. Die politische Bildung muss helfen, Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen, sie darf auch in Situationen, in denen das politische System von rechts in seinen Grundstrukturen infragegestellt wird, nicht zur Legitimationsmaschine werden. Politische Bildung muss immer kritisch sein.