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Aus aller Welt

Mein Weg vom Islamisten zum Freidenker

Bis in internationale Schlagzeilen geriet der Nigerianer Mubarak Bala vor fünf Jahren, als er wegen seiner atheistischen Überzeugungen erst in eine Klinik eingewiesen und danach in Schutzhaft festgehalten wurde. Hier erzählt der heutige Präsident der Nigerian Humanist Association seine Geschichte.

Bis in internationale Schlagzeilen geriet der Nigerianer Mubarak Bala vor fünf Jahren, als er wegen seiner atheistischen Überzeugungen erst in eine Klinik eingewiesen und danach in Schutzhaft festgehalten wurde. Hier erzählt der heutige Präsident der Nigerian Humanist Association seine Geschichte.

Von Mubarak Bala

Innii umirtu an uqaatilan-Nasa, hatta yash-hadu an Lailaha illallah…ilaa akhir…

Mir wurde befohlen, gegen die ganze Menschheit Krieg zu führen, bis sie bezeugt, dass es keinen Gott gibt außer Allah…. Wer es tut, ist vor mir sicher. Sie und ihre Familien und Gegenstände sind sicher…..

Die obigen Worte sind nicht die Worte von Shekau, al-Baghdadi oder Bin Laden, sondern ein Hadith (Spruch des Propheten Mohammed) von bedeutendem Wert und Ursprung. Das ist wichtig zu wissen, um den Geist eines Dschihadisten zu verstehen.

Natürlich wächst jeder, der in einer bestimmten Region der Welt geboren wurde, in die Kultur, das Verhalten, die Denkweise und die Religion dieser Gesellschaft hinein.

Was hat mich verändert? Die Antwort darauf ist einfach. Ich habe die richtigen Fragen gestellt. Ich lernte, begründete, recherchierte und traf die Entscheidung, das Richtige zu tun: das zu sein, was mir Seelenfrieden gibt und mein Gewissen befriedigt.

Vom dem Leben eines Pseudo-Islamisten entwöhnt wurde ich liberal, weltlich, humanistisch, agnostisch und schließlich atheistisch, ohne jemals die Bücher oder Ideologien des Atheismus zu kennen. Alles, was ich kannte, war die Wissenschaft und der Islam. Schließlich wurde mir bewusst, dass es viele Fälle gab, in denen ich nicht glaubte, aber durch Angst, gesellschaftliche Normen, Familienerbe und den Druck, zur Mehrheit zu gehören, in das System gezwungen wurde. Das ist meine Geschichte.

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Gläserne Wände - Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland

Der Text ist zuerst im Juni 2016 erschienen in „Feminist Dissent“, einer Zeitschrift an der University of Warwick.
Quelle: doi.org/10.31273/fd.n1.2016.19

Mubarak Bala (35) ist studierter Chemietechniker, außerdem hat er einen Master-Abschluss in „International Affairs und Diplomacy“ der Universität in Zaria, Nigeria.

Ich wurde Mitte der 1980er Jahre im Bundesstaat Kano in Nordnigeria geboren. In eine Familie von Gelehrten hineingeboren, geht meine Linie zurück zu den Schülern von Usman dan Fodio, dem Gründer des Sokoto-Kalifats. Das Dan-Fodio-Imperium eroberte und regierte einen großen Teil Westafrikas. Von 1804 bis 1903 versklavte, bekehrte und unterjochte er diverse Stämme. Darunter sogar traditionell muslimische Stadtstaaten wie Kano, Zaria und Bauchi, die seit Jahrhunderten muslimisch waren. Ihr Glaube wurde nicht als rein genug angesehen. Infolgedessen wurden sie angegriffen und erobert.

1903 stürzten britische Kolonialisten das Imperium.

Der einzige Unterschied zwischen der Methode des Kalifats und der des heutigen Jama‘atu Ahlis Sunnah Lida‘awati wal Jihad (JAS), allgemein bekannt als Boko Haram, ist der Zeitraffer. Die Moderne zwang die Religion, sich an eine weltliche Verfassung anzupassen. Die moderne Bildung vermittelte den Menschen den Eindruck von Freiheit. Der neue Name für den Dschihadismus lautet nun Terrorismus. Deshalb tötet JAS Muslime. Ihr Glaube ist nicht stark genug; er wird durch säkulare, gottlose Verwestlichung verwässert, anstelle des Scharia-Systems, das Mohammed durch Treue zu einer Linie von Kalifen (nicht Sultanen) befohlen hat.

Das ist das Gift, das sie uns eingetrichtert haben

Meine Grundschule war eine reine Muslimschule, eine von vielen, die von Saudi-Arabien im Rahmen der Daurah-Islamic-Foundation finanziert wurde. Meine Sekundarschule auch: eine muslimische Privatschule. Die Gegend, in der ich in Kano aufgewachsen bin, ist überwiegend muslimisch. In der Folge hatte ich kaum Kontakt mit Nicht-Muslimen oder Säkularismus. Alles, was ich kannte, war meine Religion und mir wurde beigebracht, dass der Islam perfekt ist. Gleichzeitig verstand ich die Wissenschaft, die meine Schule mit dem Vorbehalt lehrte, dass sie nur dann wahr ist, wenn sie mit der Lehre übereinstimmt. Wissenschaft begeisterte mich und tut es noch immer. Als Erwachsener las ich mehr davon als in den Lehrplänen gefordert, Texte, die ich zu Hause fand. Wir werden sehen, wie sehr mir dies im letzten Moment half, als mein Verstand ausgebildeter war.

Während des Ersten Golfkriegs erzählten uns unsere Lehrer, wie Saddam Hussein die Ungläubigen bekämpfte und besiegte. Ich erinnere mich an die Zeit, als es zusätzlich Lektionen über den Dschihad gab und wir lernten, mit Pfeil und Bogen zu schießen. Ich war neun Jahre alt. Uns wurde gesagt, dass wir auf den kommenden Kampf vorbereitet sein sollten, der unvermeidlich sei. Der Zweck, uns Wissenschaft und Sport beizubringen, war, „ihre bösen Bräuche zu lernen und sie gegen sie einzusetzen”. Aus irgendeinem Grund dachten jedoch viele, so wie ich, der Islam stimme mit der Wissenschaft überein, abgesehen von den „Lügen der Evolution”.

2001, als ich mit 16 Jahren gerade die Sekundarschule beendete, feierte der Norden Nigerias die Anschläge vom 11. September von Bin Ladens Al-Kaida. Ich ging auf den Marktplatz und suchte mir das beste Bild aus von Bin Laden in einem Kampfjet. Ich weiß heute, dass es mit Photoshop verändert wurde: Das Originalbild zeigt einen französischen Kampfjet. Ich nahm ein großes Poster mit und klebte es an unseren Vorplatz, wo sich Freunde versammelten, um die Nachrichten von BBC Hausa zu hören und zu verarbeiten, ob der Krieg mit Amerika und Israel erfolgreich war. Uns wurde gesagt, dass der Sieg im Koran vorhergesagt wurde (Q9: 11). Das ist das Gift, das wir eingetrichtert bekamen. Bin Ladens Bilder überfluteten Nordnigeria. Sie tun es in einigen Gegenden noch immer. Es birgt eine gewisse Ironie – aber keine Überraschung – dass jetzt eine ähnliche Ideologie die Region verwüstet.

Zur selben Zeit entdeckte ich eine Radioaufnahme, auf dem ein angeblicher amerikanischer muslimischer Konvertit eine angeblich undurchsichtige Gruppe enthüllte, die den Teufel anbetet und sich zusammentut, um den Islam zu untergraben.

Er nannte sie die Freimaurer, hervorgegangen aus den Tempelrittern. Er verunglimpfte den Westen und die weltlichen Führer als Mitglieder einer kultähnlichen Agenda, die darauf abzielte, die Welt zu beherrschen und uns mit gottlosen Praktiken einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Er nannte es die Neue Weltordnung und zitierte Bush Senior. Die Volkskultur nennt sie immer noch die Illuminaten.

Lehrer sagten mir: „Gott ist zu mysteriös für dein schwaches Gehirn“

Ich transkribierte die Aufnahme in meinem letzten Schuljahr in ein Buch, während ich für meine Abschlussprüfungen lernen sollte. Ich verbreitete es übers Internet und machte mehrere Kopien, die ich an viele Menschen geschickt, auch an solche in Regierungspositionen. Ich wollte, dass meine unmittelbare Gesellschaft besser wird, und dachte, der Islam sei die Lösung. Ja, ich war immer ein Aktivist, schon lange vor meinem Kampf zwischen Almajiri und Säkularisten. Ich dachte damals, ich sei auf der richtigen Seite.

Zweifel an meinem Glauben blieben jedoch immer. In der Schule las ich den ganzen Koran, um festzustellen, ob er übereinstimmt mit dem, wovon ich wusste, dass es wahr ist. Ich stellte zu viele Fragen und bekam unbefriedigende Antworten oder wurde verwarnt mit Sätzen wie „Gott ist zu mysteriös für dein schwaches Gehirn“, „Es gibt Dinge, die man einfach nicht fragt“, „Vorsicht, mit diesen Fragen wirst du Allahs Zorn erregen“ und „Nein, die können nicht zum Mond fliegen, das ist alles eine Lüge“. Ich intensivierte mein Religionsstudium, um meinen Glauben zu stärken und meine Zweifel auszuräumen.

Mein erster echter Kontakt mit anderen Arten von Nigerianern war 2003 während eines Förderunterrichts außerhalb von Kano. Das öffnete mir die Augen für Menschen anderer Religionen, die ich gelernt hatte als schmutzig, unrein und feindlich zu empfinden. Die geläufigste Beleidigung, die wir für sie verwenden, ist „arna“, was heidnisch bedeutet, obwohl sie dem christlichen und/oder animistischen Glauben folgen. Ich stellte fest, dass ganz normale Menschen mit ähnlichen Hoffnungen und Bestrebungen waren. Ich freundete mich mit vielen an, diskutierte mit einigen und nahm an interreligiösen Debatten teil.

Ich bekam eine Bibel und studierte sie für die Debatten. Obwohl es ihnen verboten war, den Koran zu berühren, ermutigte ich sie, es zu tun in der Hoffnung, dass sie seine Herrlichkeit sehen können. Ich wurde liberal.

Ich sicherte auch die Tonbänder mit islamischen Debatten, insbesondere von Ahmad Deedat, der das südafrikanisch-indische Zentrum für islamische Propagierung leitete, das viele Christen zu Muslimen machte. Ich bewunderte ihn so sehr, dass ich mich bei der Landesregierung dafür einsetzte, eine Straße zu seinen Ehren zu benennen. Die Straße, die zum Kano Government House führt, ist heute die Ahmad Deedat Road. Ich traf seinen Sohn Yusuf Deedat, der aus Durban einflog, um die Straße in Betrieb zu nehmen, und er dankte mir.

Wir gründeten „Islam for Earth“

Ich wollte nicht nahe zu Hause zur Universität gehen, denn das bedeutete, dass mein Vater mir religiöse Strafen auferlegen würde. Also wechselte ich nach einem Jahr die Universität. An der relativ weltlichen Ahmadu Bello Universität in Zaria hatte ich die Freiheit, mehr Menschen zu treffen. Ich habe so viel gelernt. Ich las. Ich debattierte. Ich dachte nach. In der Folge wurde ich sehr säkular. Ich sah, wie Religion Völker spaltete. Ich stellte mir eine bessere Welt vor. Selbst damals dachte ich noch, der Islam sei wahr und die Muslime einfach nicht muslimisch genug.

In diese Zeit fielen gewalttätige Aufständen, die von Islamisten im Namen der Muslimischen Studentengesellschaft (Muslim Students‘ Society, MSS) ausgelöst wurden. Eine der Bedingungen, unter denen mein Vater mir erlaubt hatte, die Universität in Kano zu verlassen, war, dass ich der MSS beitreten musste. Das tat ich, um seine finanzielle Unterstützung sicherzustellen. Die Unruhen führten dazu, dass ich mich von der MSS löste und mit Hilfe eines Freundes meine eigene weltliche Gruppe gründete. Wir nannten sie ‚I4E‘, Islam for Earth, Islam für die Welt. Obwohl der Name fanatisch klingt, wählte ich ihn, damit wir uns die Glaubwürdigkeit bei denjenigen sichern können, die wir säkularisieren wollen, und die Ressourcen gewinnen können, die wir brauchen, wie Medienausstattung und eine Moschee für Versammlungen und öffentliche Vorträge.

Bald waren wir sieben Leute, dann mehr. Wir schafften aber es nicht, eine Sendelizenz auf Bundesebene zu bekommen. Der Name war zu islamistisch, also haben wir ihn später in Mannah (himmlische Speise) World geändert. Wir finanzierten dies aus eigener Tasche. Zweck dessen war es, zu säkularisieren und Toleranz zu fördern. Die Organisation hielt Vorträge und Iftar-Specials (Fastenessen) und verteilte Banner, Flyer, Broschüren und Rundschreiben. Ich arbeitete hart dafür, aber es ist mir nicht gelungen, universitätsweite interreligiöse Dialoge einzuführen. Ich gab der MSS und äußeren Einflüssen die Schuld, größtenteils Scharia-Erweckungsbewegungen und dem Tribalismus. Wir hatten jedoch auch Erfolge und die Dinge beruhigten sich. Religion trat wieder einmal in den Hintergrund. Das war um 2007 herum.

Heute produziert die Organisation Jingles und Hausa-Filme in der Kannywood-Filmindustrie. Ihr neuer Name lautet „New Qamar Productions“ (Qamar bedeutet Mond). Ich bin allerdings nicht mehr dabei. Die Mitbegründer fanden, dass ich zu radikal bin mit der neuen Nichtreligiosität, zu der ich offen stehe. Ich hoffe immer noch, [eines Tages] ihren Zweck weiter verfolgen zu können, wissenschaftliche Dokumentationen über das Weltall, den menschlichen Körper und darüber, „wie die Dinge gemacht werden“ sowie andere Videos, die Philosophie und Vernunft vermitteln, in Hausa zu übersetzen.

Als ich 2007 zum Hadsch ging, betete ich innig um Führung. Ich wusste, dass ich aufgrund meiner Zweifel eindeutig vom Weg abkam. Ich machte es zu meiner Priorität, die Religion wieder zu studieren, mich ein für alle Mal wieder zu verpflichten und ein Leben als frommer, gottesfürchtiger Muslim zu führen. Ich wusste um mein Erbe und wollte es bewahren. Ich hatte auch politische Ambitionen, weil ich dachte, ich könnte neue Ideen einbringen und Veränderungen einleiten, aber politische Ambitionen in Nigeria hängen immer davon ab, aus welcher Region oder Religion man kommt. Es ist politischer Selbstmord, Atheist zu sein.

Ein weiteres Anliegen war das Jenseits (ich dachte immer noch, es gäbe eines). Also beschloss ich, meine Bemühungen zu verdoppeln, gab dem Teufel die Schuld für meinen schwächelnden Glauben und tat, was ich tun sollte: lernen. Zu diesem Zeitpunkt lag ich akademisch im Rückstand. Mein Notenschnitt war gut, aber ohne die Ablenkung wäre ich viel besser gewesen.

Inzwischen weiß ich, was die Freiheit kostet – und wert ist

Im Laufe der Jahre überzeugten mich das kontinuierliche Studium, die Befragung von Wissenschaftler*innen und deren Antworten, dass das eigentliche Problem der Islam ist. Mir wurde bewusst, dass seine Botschaft verdorben ist. 2009 wurde ich Agnostiker.

Diese Begriffe habe ich erst im vergangenen Jahr kennengelernt. Alles, was ich damals wusste, war, dass mein Glaube abnahm. Ich argumentierte mit Gleichgesinnten, behielt das aber für mich, während ich selbst offen säkular war. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich frei gemacht, über die Grenzen hinaus zu denken, die Religion nicht überschreiten kann – eigentlich ein Freidenker.

Das ging jahrelang so. Ich erkannte, dass die meisten der von mir gesuchten Antworten nicht gefunden werden konnten, dass Humanismus und soziale Gerechtigkeit nicht erreicht werden können, solange es Religion gibt, insbesondere den im Land verwurzelte Islam und das Christentum. Mein Schreiben änderte sich, indem ich heimlich die Gedanken des Säkularismus weitergab, wobei Religion in den Hintergrund trat, mit Konzentration auf soziale Ungerechtigkeiten, die die Gesellschaft beeinträchtigen.

Meine Familie bemerkte die Veränderungen und entschied sich, mich dafür zu schikanieren und zu bedrohen. Ich sagte ihnen, dass ich jetzt ein Rebell bin. Sie verstanden es nicht. Sie dachten, es sei entweder der Teufel oder ein Dämon. Jede Blasphemie wird als psychische Erkrankung angesehen. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Religion, ihre Religion, falsch sein könnte.

Die Ironie ist, dass sie über ein besseres Bildungsniveau und -qualität verfügten als ich. Einige von ihnen lebten jahrelang in Großbritannien und wurden dort nur noch frommer. Ich würde sagen, westliche Regierungen haben kläglich versagt, weil sie zugelassen haben, dass Unvernunft die Gedanken der Jugend befällt. Meine Familie dachte, dass wirtschaftliche Sanktionen mich abschrecken würden. Ich habe über die Jahre viele Privilegien verloren, aber Freiheit hat Kosten. Inzwischen weiß ich, was sie wert ist.

2012 hatte der Terrorismus das Land heimgesucht und hart getroffen. Ein Szenario wie vom 11. September verwüstete mein Land. Ironischerweise beten dieselben Leute jetzt, die USA möge Drohnen oder Truppen schicken, die Terroristen zu erledigen. Einige redeten sich selbst ein, die CIA finanziere und unterstütze die Terroristen oder sagten sogar, es seien keine Muslime, sondern US-Agenten oder irgendein lokaler Stamm, den sie gerade hassen. JAS wurde zu einer regionalen Bedrohung, ähnlich wie die Taliban in einem Madrassen-Bildungs-System geboren und ohne modernes Wissen über die Welt.

Ich wusste, das würde Ärger geben. Schon zuvor waren viele militante Gruppen vorher aufgetaucht, aber ihre Waffen waren und die Bewegungen leicht zu zerschlagen – nicht aber diese. Der Maitatsine-Aufstand Anfang der 1980er Jahre in Kano zum Beispiel brachte vor seiner Zerschlagung über 10.000 Tote innerhalb weniger Monate.

Entweder, jemand steht auf oder wir gehen alle unter

Die Bemühungen militanter Christen, diese Feuer anzufachen, verschlimmerten die Situation und erwiesen sich als großer Rückschlag dabei, die Menschen dazu zu bewegen, Religion genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Freundeskreis, mit dem ich zu argumentieren versuchte, war derjenige, mit dem ich die Schule besucht hatte; die Gebildeten, die Elite und die Führer der Zukunft. Unsere Debatten waren meist privat und persönlich. Einige waren in WhatsApp-Gruppen und später auf Facebook. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich eher wie ein Atheist, aber ich fühlte mich einfach nicht sicher, mich selbst als solchen zu bezeichnen. Ich hatte Angst vor dem Begriff.

Schließlich brachte Twitter mich dazu, zu erkennen, dass ich die ganze Zeit ein Atheist gewesen war. Alle Memes und Aussagen, die im Umlauf waren, ergaben Sinn. Es war, als wäre ich derjenige, der sie schreibt. Bei allem, was ich sah, dachte ich: „Wow! Das habe ich auch gedacht!“ Die Zeit, die ich dem Lernen und der Vernunft widmete, brauchte ich nur, weil mein Gehirn sich von Natur aus weigerte, Irrtümer zu akzeptieren. Ich verstand die Evolution und erkannte, warum das eine Bedrohung für die dogmatischen Glaubensrichtungen darstellte. Ich hasse keine Menschen. Ich liebe die, die ich kenne und habe Mitgefühl für die, die ich nicht kenne, besonders für die unterdrückten. Ich verabscheue Terror und jeden gewalttätigen Extremismus. Mir wurde klar – das ist Humanismus.

Ich schätzte die Risiken ab, ging aber trotzdem meinen Weg weiter. Ich erkannte die Dringlichkeit der gefährlich eskalierenden Situation in Nigeria. Ich sah uns untergehen. Mir wurde klar, dass, wenn ich sagen würde, wer ich bin und was ich glaube, ich vielleicht Zweifel sähen könnte und zumindest einige säkular werden und die nächste Generation retten könnten, bevor wir ein weiteres Somalia oder Afghanistan werden.

Ich initiierte subtile Debatten mit engen Freunden und kritisierte die Gesellschaft und Religion. Viele dachten und sagten, es sei nur eine „Phase“. Andere meinten, ich würde Jude werden (mit Jude meinen sie verwestlicht). Freunde, die früher meinem Urteilsvermögen, meiner Intuition und meiner Analyse vertraut hatten, fürchteten nun, was ich sagte. Ich habe so gut argumentiert, dass sie fürchteten, ihren Glauben zu verlieren und zu „Arna“ werden, die sie hassen sollten. Viele sind abgehauen. Denn schließlich wurden wir alle auf die gleiche Art radikalisiert. Die wenigen, die sich von der Religion befreiten, wollten das privat halten.

Mit jedem Terroranschlag wurde ich lauter. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die Debatten und Schriften kritischer. Was mich schließlich veranlasste, mich als Atheist zu outen, war ein Video von einer Enthauptung einer Christin im Jahr 2013 durch Jungen in meinem Alter, die meine Sprache sprachen. Mir wurde mit einem Schlag bewusst, dass die Zeit des Schweigens vorbei ist. Entweder, jemand steht auf oder wir gehen alle unter.

Also sagte ich es den Leuten unverblümt, auch meiner Mutter. Sie hatte so viel Angst um mich, dass sie es meinem Vater sagte. Anstatt mit mir zu diskutieren oder zu fragen, wie ich zu diesem Schluss gekommen sei, wollte er, dass ich einen Psychiater aufsuche. Ich stimmte schließlich zu unter der Bedingung, dass der Arzt ein Nicht-Muslim ist, was sie ablehnten. Schließlich stieg der Druck und ich gab nach. Es war November 2013. Ich hatte Glück und der Arzt war säkular. Er hörte sich alles an, was sie zu sagen hatten. Er sagte, dies sei kein psychiatrisches Problem und sie könnten nur für mich beten. Mein Vater war sehr unzufrieden und suchte einen anderen Arzt.

Wir müssen religiöse Indoktrination als das virale Programm erkennen, das sie ist

Im Juni 2014 hatten sie sich ohne mein Wissen mit einem anderen Arzt abgesprochen. Während des allerersten Besuchs bei ihm, den wir mit allen Familienmitgliedern machten, sagte der Arzt, dass ich einen Gott brauche, und dass man sogar in Japan einen Gott habe. Er sagte, dass alle Atheist*innen geistig gestört seien, dass es wahnhaft sei, die Geschichte von Adam und Eva zu leugnen. Sie (der Arzt, mein Vater und mein älterer Bruder) erzählten eine Geschichte über einen Al-Ghazali, einen islamischen Gelehrten, der Allah in Frage stellte, verrückt wurde, bereute und wieder gesund wurde.

Als dienstältester Experte im Krankenhaus sagte der Arzt, dass seine Entscheidung endgültig sei. Er verschrieb mir ein Bett. Ich ging heimlich nach Hause, als die anderen weg waren, um das Bett zu bezahlen. Ich begann, meinen Auszug zu planen. Ab da wandten sie Gewalt an. Sie schlugen mich zusammen, rangen mit mir und betäubten mich. Sie sagten, sie müssten mich töten, wenn ich nicht einwillige.

Als meine Geschichte in den Medien veröffentlicht wurde, hob die Krankenhausleitung die Verschreibung des Arztes auf und wies mir einen neuen zu. Ich wurde als wieder gesund diagnostiziert, aber von der Staatssicherheit in Schutzhaft gehalten. Man sagte mir, die Stadt und die Region verlangten nach meinem Kopf, als wären wir im Europa des 14. Jahrhunderts. Mir wurde ein Anwalt zugeteilt und ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Mein Vater schickte Delegationen, um mich zu bitten, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Ich sagte ihm, er müsse sich persönlich entschuldigen und nicht diejenigen bestrafen, die mir geholfen haben – und mir mein Eigentum zurückgeben. Diese Bedingungen wurden nicht eingehalten und ich beschloss, Gerechtigkeit in der Zukunft zu suchen.

Die Reaktionen auf meinen Krankenhausaufenthalt retteten mir nicht nur das Leben, auch ermutigten sie die Menschen, Fragen zu stellen. Eine Reihe von Atheist*innen, insbesondere in islamischen Gemeinschaften in Nordnigeria, sind inzwischen selbstbewusster. Sie outen sich oder unternehmen Bemühungen, mit Ideen oder Ratschlägen die Säkularisierung unserer Völker voranzutreiben und die Indoktrination von Dogmen aus dem Nahen Osten, die unser Land verwüstet haben, abzubauen. Ich hoffe, ich habe Menschen inspiriert, den Mut zum Denken zu haben und keine Angst vor Wissen oder etwas „Neuem“ zu haben. Auch Ex-Christ*inen in Nigeria haben schon lange vorher Ihre Stimme erhoben, laut und zuversichtlich.

Ich wünsche und arbeite für eine Gesellschaft, die von Toleranz, Frieden, Sicherheit, Vernunft und Harmonie geprägt ist. Es mag sein, dass wir heute nicht alle unsere Probleme lösen, aber wir müssen die religiöse Indoktrination als das virale Programm erkennen, das sie ist.

Dem Islam folgen etwa 1,5 Milliarden Menschen. Viele von uns sind Opfer und Gefangene des Gewissens, die für Vernunft und Freiheit von unserer Religion kämpfen. Schafft die Apostasie-Verbote ab, das imaginäre Höllenfeuer und seht, ob unsere Zahl eine Milliarde erreicht.

Aus dem Englischen übersetzt von Mariko Junge.

Nichtreligiös sein in Afrika: Warum säkulare Länder helfen müssen Humanist oder Atheist in Afrika zu sein kann im besten Fall soziale Ächtung bedeuten, im schlimmsten den Tod. Säkulare, liberale Länder müssen mehr für sie tun, meint der Religionswissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Leo Igwe. Weiterlesen…

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