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Aus aller Welt

Hexerei, paranormale Behauptungen und vernunftbasierter Journalismus

Wir können nicht erwarten, eine vernünftige Gesellschaft zu werden ohne vernünftige Medien, die religiöse und paranormale Themen angemessen und sinnvoll darstellen.

Wir können nicht erwarten, eine vernünftige Gesellschaft zu werden ohne vernünftige Medien, die religiöse und paranormale Themen angemessen und sinnvoll darstellen. Das schreibt Leo Igwe, Koordinator der nigerianischen Humanistenbewegung.

Aus dem Englischen übersetzt von Sarah Scherf. Quelle: saharareporters.com

Bild: Screenshot Independent Television

„Mysteriös: Nackter Mann in Kirche gefunden“ – So schlagzeilte vor einigen Wochen der nigerianische Sender Independent Television. Bild: Screenshot / Independent Television

Nigeria ist bekannt für seine freie und dynamische Medienwelt. Nigerianische Journalisten erhalten viel Applaus dafür, sorgfältig bei der Kritik an der Regierung und im Umgang mit sensiblen Themen zu sein. Wenn es jedoch darum geht, über religiöse und paranormale Behauptungen zu berichten, insbesondere über solche wie Hexerei und dämonische Besessenheit, mangelt es den nigerianischen Medien oft an einer kritischen Komponente. Tatsächlich fehlt den Print- und Rundfunkmedien des Landes ganz klar ein vernunftbasierter Journalismus. Damit meine ich einen Journalismus, bei dem Nachrichten geschrieben und gesendet werden, die auf fairen, sinnvollen und soliden Informationen basieren.

Foto: © Jon Bagge

Leo Igwe ist Koordinator der nigerianischen Humanistenbewegung. Er vertrat viele Jahre lang die Internationale Humanistische und Ethische Union (IHEU) vor Institutionen der Vereinten Nationen und machte dort auf die gravierenden Probleme in den Ländern Afrikas aufmerksam. Er hat einen Master in Philosophie und war zwischen 2011 und 2014 Fellow am Institut für Afrikastudien der Universität Bayreuth. Igwe ist weiterhin in Afrika tätig und berichtet regelmäßig in englischsprachigen Blogs über seine Arbeit und die Ereignisse vor Ort. Foto: © Jon Bagge

Ich werde diesen Punkt anhand des kürzlich bekanntgewordenen Falles eines „fliegenden Zauberers“ verdeutlichen, wie er von Independent Television in Benin berichtet wurde. In dem Bericht wurde ein Mann mittleren Alters, der nackt auf einem Kirchengelände gefunden worden war, als Zauberer bezeichnet. Angestellte der City-Gate-Kirche in Benin-Stadt waren schockiert, als sie ihn auf dem Grundstück der Kirche fanden, da die Tore abgeschlossen waren. Sie schlossen daraus, dass der Mann ein Zauberer sei, denn sie glaubten, er habe sich auf mysteriöse Weise Zutritt zum Gelände verschafft.

Ein Reporter interviewte den Gründer der Kirche, „Prophet“ Ojo Agge, der bestätigte, dass der Mann einen „spirituellen Flug“ unternommen und einen spirituellen Kampf in der Gegend ausgefochten habe, bevor er abgestürzt und in dem Kirchenareal gelandet sei. Andere Kirchenmitglieder, die mit dem Reporter sprachen, bezeichneten den Mann ebenfalls als Zauberer, der von irgendwelchen spirituellen Kräften benutzt würde. Der Reporter befragte später auch den mutmaßlichen Zauberer, der behauptete, Geister hätten mit ihm gesprochen, während er über das Gelände geflogen sei, und hätten ihn dorthin geführt, obwohl die Tore verschlossen waren. Er sagte, es sei ein Werk Gottes gewesen, dass er auf dem Grundstück der Kirche abgestürzt sei. Der Reporter sendete anschließend die Story, die auf den Berichten des Pastors, der Kirchenmitglieder und dem sogenannten fliegenden Zauberer basierte. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich bemüht hat, ein breites Spektrum an Meinungen zu dem Thema einzuholen.

Es ist offensichtlich, dass es dem Reporter nicht gelungen ist, seiner Pflicht nachzukommen, die Prinzipien eines vernunftbasierten und verantwortungsbewussten Journalismus aufrechtzuerhalten. Es gibt in dem Bericht überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Journalist versucht hat, die Informationen, die er bekam, zu überprüfen, um deren Genauigkeit und Richtigkeit sicherzustellen. Warum ist der Reporter der kontraintuitiven Behauptung nicht näher nachgegangen, dass der Mann sich auf einem spirituellen Flug befunden habe, bevor er abgestürzt und auf dem Grundstück gelandet sei? Fliegen menschliche Wesen denn auf spirituelle Weise? Warum hat er nicht versucht, herauszufinden, auf welche Weisen sich der Mann sonst noch hätte Zutritt zum Gelände verschaffen können, beispielsweise durch einen Sprung über den Zaun oder die Möglichkeit, dass sich der angebliche Zauberer mit dem Prophet und Gründer der Kirche verschworen hat und dieser ihm in der Nacht das Tor geöffnet und diesen merkwürdigen und mysteriösen „Vorfall“ erfunden hat?

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Warum ist der Reporter nicht der Behauptung nachgegangen, dass der Mann angeblich auf „spirituelle Weise“ geflogen und dann tatsächlich auf dem Grundstück gelandet ist? Warum hat der Reporter angesichts der Tatsache, dass der mutmaßliche Zauberer nackt umherläuft und Stimmen von „Geistern“ hört, nicht die Meinungen von Psychologen und Psychiatern eingeholt? Der Reporter hätte der Story ein kritisches Element hinzufügen sollen, da ja der „fliegende Zauberer“ keine physischen Flügel hatte, die ihm das Fliegen hätten ermöglichen können.

Es heißt oft, dass Geschichten mehrere Seiten haben. Unglücklicherweise hat diese, wie die meisten Berichte über Paranormales in den nigerianischen Medien, nur eine und der Journalist hat ausschließlich über die Seite berichtet, die diesen Vorfall der Hexerei zuschreibt, obwohl es plausiblere Erklärungen dafür gibt, wie der Mann sich physisch Zutritt zum Kirchengelände verschaffen konnte.

Es gab in den nigerianischen Medien ähnliche Berichte über „Schwangerschaften stehlende“ Hexen oder solche, die die Sternzeichen anderer entwendet haben sollen. Es gibt Geschichten über Frauen, die sich in Katzen oder Vögel verwandelt hätten, Menschen, die gestorben sind und später wiederauferstanden. Alle möglichen Geschichten, die nicht mit vernunftbasierten Medien vereinbar sind. Solche Berichte grassieren heutzutage in den nigerianischen Medien, sie enthalten oft keine kritischen Sichtweisen. Selten fügen Journalisten ihren Berichten eine rationale, skeptische Stimme hinzu oder versuchen, abzuwägen und sie in einen Kontext zu stellen. Diese Geschichten sind voll von Fehlern, Ungenauigkeiten und Falschinformationen, die niemals zurückgezogen oder korrigiert werden.

Einmal wurde beispielsweise berichtet, dass die nigerianische Polizei eine Ziege in Ilorin im Bundesstaat Kwara festgenommen habe. Nach dem Bericht war die Ziege ein Autodieb, der sich verwandelt hat, um nicht von Mitgliedern einer Selbstjustizgruppe gefasst zu werden. Es gab keinen Nachfolgebericht, der die irrige Idee, dass sich ein menschliches Wesen in eine Ziege verwandelt, richtiggestellt hat.

Zum Thema: „Eine säkulare Gesellschaft entsteht nicht einfach so“ – Damit nichtreligiöse Menschen auf dem afrikanischen Kontinent einen Unterschied bewirken können, benötigen sie mehr Unterstützung aus Europa. Das sagte der nigerianische Humanist Leo Igwe im Interview mit diesseits – Das humanistische Magazin.

Berichte über angeblich mysteriöse und übernatürliche „Geschehnisse“ werden in einer Art und Weise geschildert, die kontraintuitive und abergläubische Ansichten stärkt und die Prinzipien eines verantwortungsbewussten und vernünftigen Journalismus kompromittiert. Wir können nicht erwarten, eine vernünftige Gesellschaft zu werden, ohne vernünftige Medien, die religiöse und paranormale Themen angemessen und vernünftig darstellen. Wir können nicht hoffen, den Glaube an Hexerei mit verantwortungsloser, unvernünftiger und sensationsheischender Berichterstattung zu schwächen. In einer Zeit, in der die Bedenken gegenüber den schädlichen Auswirkungen des Glaubens an Hexerei und solchen Anschuldigungen in Afrika größer werden, müssen Journalisten die Bedeutung einer ausgewogenen, sorgfältigen und faktengetreuen Berichterstattung verstehen, wenn es um religiöse und paranormale Behauptungen geht, zugunsten einer nigerianischen, ja sogar afrikanischen Aufklärung.

Mehr davon? 2017 lockt vom 15. bis 18. Juni ein großes humanistisches Festival nach Nürnberg: Der HumanistenTag 2017 wird ein idealer Ort zum Diskutieren, Tanzen, Staunen und Netzwerken für Menschen, die gerne selber denken und gut feiern können. Unter den Referenten und Künstlern, die bereits zugesagt haben, sind neben Leo Igwe u.a. der humanistische Philosoph Julian Nida-Rümelin, der u.a. durch seine ZEIT-Kolumne bekannt gewordene Bundesrichter Thomas Fischer, „Science-Rapper“ Baba Brinkman und die Jazz-Sängerin Lisa Bassenge. Alle Informationen finden Sie auf www.humanistentag.net

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