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Sehenden Auges in eine autoritäre Zukunft?
Weltweit erhalten rechtspopulistische Bewegungen großen Zulauf. Mit dem Band „Autoritäre Versuchungen“ versucht sich der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer an einer Erklärung dieses unheimlichen Erfolgs.
Ob in den Vereinigten Staaten oder Brasilien, in Mitteleuropa, Indien oder auf den Philippinen – weltweit erhalten rechtspopulistische Bewegungen großen Zulauf, werden Menschen mit Amtswürden versehen, die mit autoritären Mitteln zu regieren versprechen. Im lesenswerten Band „Autoritäre Versuchungen“ versucht sich der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer an einer Erklärung dieses unheimlichen Erfolgs.
Es ist nicht so, dass das für alle völlig überraschend so gekommen wäre. An der „Schwelle zum autoritären Jahrhundert“ wähnte etwa Ralf Dahrendorf die Gesellschaften des Westens schon im Jahr 1997. Nur war Dahrendorf mit seiner These damals ebenso Exot wie die Handvoll kapitalismuskritischer Stimmen, die nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks und dem mit ihm verbundenen „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) noch zu vernehmen waren.
Ein weiterer Außenseiter: Wilhelm Heitmeyer. 2002 begann der Soziologe an der Universität Bielefeld mit der Langzeituntersuchung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, deren Ergebnisse er fortan Jahr für Jahr unter dem Titel „Deutsche Zustände“ veröffentlichte – immer mal wieder zitiert, aber längst nicht breit rezipiert. Nach einer Dekade stand für Heitmeyer fest: Die Vorstellung einer „endgültigen liberalen Demokratieentwicklung“ hat sich als Trugschluss erwiesen.
Im Gegenteil habe sich, wie von ihm selbst schon 2001 prognostiziert, ein autoritärer Kapitalismus herausgebildet, „der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so daß (sic) neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden.“ Die Belege hierfür, mit seinem Forschungsteam über die Jahre zu Genüge zusammengetragen, präsentiert Heitmeyer nun in „Autoritäre Versuchungen“. Zweifellos, Eigenlob stinkt, und man mag Heitmeyer zu Recht vorhalten, sich in der Pose des weitsichtigen Mahners ein bisschen zu sehr zu gefallen. Doch ändert dies allein nichts daran, dass die Befunde zutiefst beunruhigen müssen.
Weniger Kontrolle, weniger Demokratie
Konfrontiert mit der schier unlösbaren Aufgabe, „die Wettbewerbsfähigkeit in der rabiaten Konkurrenz der Weltwirtschaft zu erhalten“, schreibt Heitmeyer, hätten Staaten in aller Welt sich im Grunde zu Erfüllungsgehilfen des Kapitals gemacht. Flankiert von kaum diskutierten marktradikalen Dogmen habe das kapitalistische Wirtschaftssystem so zunehmend autoritäre Züge annehmen können. Nun dürfen Flexibilisierungen, die Lockerung des Kündigungsschutzes und anderer Vorgaben, schließlich die Deregulierung ganzer Finanzplätze zwar als Indizien wirtschaftlicher Liberalisierung gelten. Allerdings, und das ist eben die autoritäre Kehrseite des (Neo-)Liberalismus, waren diese neuen unternehmerischen Freiheiten nur um den Preis von allerlei Zwangsmaßnahmen für Beschäftigte und Arbeitslose zu haben. Mit dem Label „Fördern und Fordern“ versah man letztere im Deutschland der Agendajahre.
Der Aufschwung rechtspopulistischer Bewegungen, die Gewalt gegen Minderheiten, Schutzsuchende und Andersdenkende, die Verrohung der Kommunikation – all das sei, so Heitmeyer, nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Von Kontrollverlusten spricht er in diesem Zusammenhang, gemeint ist zum Beispiel dies: Wo nicht länger Nationalstaaten den Rahmen für wirtschaftliche Unternehmungen geben oder selbigen Rahmen lockern, wird Kontrolle aufgegeben – dem Vertrauen gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen hat sich das als nicht gerade förderlich erwiesen. Auch wo Kontrollinstanzen wie Gewerkschaften willentlich geschleift werden oder schlicht auseinander fallen, geht Kontrolle verloren. Wo kein soziales Netz einen noch aufzufangen vermag, wachsen Unsicherheit und die Angst um den eigenen Status. Und Erwerbslose, die unter der Androhung empfindlicher Strafen jeden noch so schlecht bezahlten „Bullshitjob“ (David Graeber) anzunehmen gezwungen sind, sind der Kontrolle über ihre eigene Erwerbsbiografie beraubt.
Zurück bleibt das überwältigende Gefühl der Hilflosigkeit. Anders gesagt: Wer das Gefühl hat, über sein eigenes Leben nicht mehr bestimmen zu können, wer sich sicher ist, dass er nie gehört wird und „die da oben eh machen, was sie wollen“, der wird eher geneigt sein, sich, und dann womöglich gar mit Gewalt, einen Teil der Kontrolle wiederholen zu wollen. Nur deshalb konnten populistische Slogans à la „Take back control“, mit dem in Großbritannien Stimmung für einen Brexit gemacht wurde, in den letzten Jahren auf derart breite Zustimmung stoßen.
Nation als Anker, Nationalismus als Gift
Warum aber ist es vor allem die politische Rechte, die aus dem Prozess von Desintegration, Demokratieentleerung und Kontrollverlust ihren Nutzen zu ziehen vermag? Einerseits seien rassistische und autoritäre Einstellungen auch zu besseren Zeiten ohnehin schon weit verbreitet gewesen, sagt Heitmeyer. Andererseits werde, weil nun den Menschen „auf ökonomischer, politischer und sozialer Ebene die Anerkennung versagt bleibe, „nationale Identität (…) zum Anker, der in stürmischen Zeiten Stabilität verleihen soll.“
Fremdenfeindlichkeit, „wutgetränkte Apathie“ und die Überhöhung der eigenen nationalen Identität bilden ein explosives Gebräu – und sind Grundlage für den Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien in ganz Europa. In Deutschland habe sich die AfD einen „rabiaten und emotionalisierten Mobilisierungsstil“ zu eigen gemacht. Als autoritäre und nationalradikale Partei sei sie Vorbote der Gewalt und leiste, wie übrigens andere Parteien, die den Sprachduktus der AfD mimetisch nachahmen, der weiteren Eskalation Vorschub.
Was aber tun? Einfach umzukehren sei der „Höhenflug autoritärer Politikangebote“ nicht, weil die dahinterstehenden Prozesse viel zu wirkmächtig seien. An den unmittelbaren Erfolg konventioneller politischer Mittel – Gesetze, Geld, Aufklärungsprogramme – glaubt Heitmeyer jedenfalls nicht. Und so mag „Autoritäre Versuchungen“ zwar so manches erklären, sein Publikum schlauer machen – Hoffnung aber, die macht das Buch nicht.