Neuerscheinungen
Jetzt mal ohne Witz
Es gibt viele, die mit Oliver Polaks Comedy („Ich darf das, ich bin Jude“) nichts anfangen können. Kein Wunder: Grimme-Preisträger darf sich der 42-Jährige zwar nennen, und doch sind seine Stand-Up-Programme für den Massengeschmack viel zu derb – Witze über Sodomie sind wahrlich nicht jedermanns Sache. Nun hat Polak mit „Gegen Judenhass“ ein Buch geschrieben, das keineswegs Comedy sein, sondern als ernsthafter Appell verstanden werden will.
Es gibt viele, die mit Oliver Polaks Comedy („Ich darf das, ich bin Jude“) nichts anfangen können. Kein Wunder: Grimme-Preisträger darf sich der 42-Jährige zwar nennen, und doch sind seine Stand-Up-Programme für den Massengeschmack viel zu derb – Witze über Sodomie sind wahrlich nicht jedermanns Sache. Nun hat Polak mit „Gegen Judenhass“ ein Buch geschrieben, das keineswegs Comedy sein, sondern als ernsthafter Appell verstanden werden will.
Mehr als die Hälfte des schlanken Buches überlässt Polak seinen Leserinnen und Lesern. Er doziert nicht, belehrt nicht, sondern stellt Fragen, eine pro Seite: „Magst du Juden?“ „Kennst du Juden?“ „Warum denkst du über Israel nach?“ Noch ehe er zu seinem Appell ansetzt, verlangt er Reflexion. Erst dann erzählt er, kaum kommentiert übrigens, von Schulmobbing und Neonazis, von antisemitischen Taxifahrern oder dem betrunkenen Vater seiner Freunde, der ihm, dem damals siebenjährigen jüdischen Jungen, an den Kopf wirft, er sei ein Christusmörder. Viele der biografischen Episoden drehen sich um Personen des öffentlichen Lebens, um Fernsehmoderatoren etwa, um Theaterleute oder Musiker. Sie stehen, partes pro toto, für den grassierenden Antisemitismus im Land. Namentlich genannt werden sie nicht, die Erzählung freilich macht es leicht, sie zu identifizieren.
Im Wissen um diese Notizen kann man Polak mitunter nur bewundern. Zum Beispiel dafür, dass er dem, man muss es so sagen, dämlich feixenden Ottfried Fischer etwa nicht ins Gesicht schlägt, als der Polak in einer ZDF-Talkshow einmal als „kleinen Eichmann“ bezeichnet. Oder dafür, dass er die gemeinsame Fernsehsendung mit „Haftbefehl“ mit großer Geduld zu Ende bringt, obwohl der Offenbacher Rapper seine antisemitischen Quatschgedanken kaum zu zügeln weiß und Polak fleißig nach dessen „reichen Eltern“ ausfragt.
Vom alten und neuen Antisemitismus
Es gehört zu den großen Stärken Polaks Buches, dass er deutlich macht, wie sich Antisemitismus im postnazistischen Deutschland äußert – nicht immer als plattes, judenfeindliches Stereotyp nämlich, sondern oft genug als vermeintlich „legitime Israelkritik“. Er benennt Charakteristika des in der Wissenschaft so bezeichneten „sekundären Antisemitismus“, ohne seine Leser dabei mit Fachjargon zu quälen. Auch stellt sich Polak klar gegen die Mär, der Antisemitismus sei mit der „Flüchtlingskrise“ aus dem Nahen Osten importiert worden, „so, als handele es sich um aus dem Ausland eingeflogenes Obst. Und so, als hätten die Deutschen zuvor noch nie welchen gehabt in ihrem Land“.
Nein, „dieser einheimische Antisemitismus kommt mir vor wie ein alter vertrauter Verwandter, der schon lange da ist und stillschweigend geduldet wird, gemütlich in seinem Schaukelstuhl in der Ecke wippt und mich beobachtet“. Er zeigt sich im gewalttätigen Papenburger Polizisten und im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, im Geschwätz von Lehrern und den „Witzen“ anderer Kabarettisten.
Angesichts seiner eigenen Erfahrungen und des wieder salonfähig gewordenen Antisemitismus mischen sich resignierte Töne in Polaks Buch. Deutschland sei zwar sein Zuhause, „andererseits kann ich mir inzwischen nicht mehr vorstellen, dass meine Kinder auf diesen Schulhöfen aufwachsen“. „Zur Hälfte bin ich also schon gar nicht mehr hier“, sagte er unlängst auch in einem Interview. Und doch: Einfach wegzurennen ist Polaks Sache nicht. Er plädiert für Empathie, Respekt, Toleranz und Geduld. Für die Courage, auch nur den kleinsten Anflug von Antisemitismus oder Rassismus nicht unkommentiert zu lassen. Dass sich mit überzeugten Antisemiten nicht reden lässt, ahnt Polak allerdings wohl selbst.
Womöglich wird es sich mit Oliver Polaks „Gegen Judenhass“ ähnlich verhalten wie mit seiner Comedy: Viele werden es nicht gerade begrüßen, wenn nicht sogar ablehnen. Aber aus welchen Gründen? Werden sie Polak dafür kritisieren, einen gegen Ende des Buchs doch etwas lahmen Appell („Das Ende vom Menschenhass beginnt mit dir.“) formuliert zu haben? Oder werden sie sich daran stoßen, dass Polak überhaupt so unverblümt vom Fortleben des antisemitischen Ressentiments spricht? Dass er das Gerede von der deutschen christlich-jüdischen Tradition als das bloßstellt, was es ist – nämlich eine Lüge? Dass er Sätze schreibt wie diese: „In Deutschland leben fühlt sich mitunter so an, als müsstest du als Vergewaltigungsopfer von Bill Cosby mit ihm in einer WG leben“?
„Immer seid ihr Juden Opfer“, zitiert Polak eine der vielen antisemitisch grundierten Unverschämtheiten, die ihm hierzulande schon von Prominenten oder auch weniger prominenten an den Kopf geworfen wurden. Wer so denkt, wird vermutlich auch „Gegen Judenhass“ entsprechend einordnen: als haltlose, „typisch jüdische“ Jammerei. Dabei hat Polak eine eindrückliche Schilderung des antisemitischen Normalzustandes geschrieben, daran vermag auch der Wahn Einzelner nichts zu ändern.
Oliver Polak
Gegen Judenhass
Suhrkamp , Berlin 2018
127 Seiten, Taschenbuch
8 €
ISBN 978-3518469842