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Angst tötet das Bewusstsein

Der Psychologe Sebastian Bartoschek sagt, sie könne für einige Menschen zu einer Art Lebensgefühl werden. Objektiv betrachtet sei sie allerdings völlig irrational. Hier verrät er uns außerdem, wovor er wirklich Furcht empfindet.

Diese These vertritt der Psychologe Sebastian Bartoschek. Er sagt, sie könne für einige Menschen zu einer Art Lebensgefühl werden. Objektiv betrachtet sei sie völlig irrational. Er meint auch, die Boulevard-Zeitung BILD nähme die Ängste der Menschen sehr ernst. Hier verrät er uns außerdem, wovor er selbst Furcht empfindet.

Der auch als Blogger, Podcaster und Publizist bekannte promovierte Psychologe Sebastian Bartoschek wird Moderator des großen populärwissenschaftlichen Symposiums 2018 des turmdersinne sein. Vom Symposium erwartet er sich auch Impulse gegen den aus seiner Sicht hierzulande beliebten Kulturpessimismus.

„Alle Religionen versuchen, die Angst vor dem Tod zu nehmen bzw. zu lindern. Das ist zunächst einmal ein großer Verdienst von Religionen. Aber: Religionen machen auch selbst Angst“, sagt Bartoschek. Foto: © Christine Ruthenfranz

Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit und Tod oder auch einfach nur langbeinige kleine Tiere wie Spinnen – Menschen verspüren vor vielen Dingen Angst bzw. fürchten sich davor. Herr Dr. Bartoschek, die deutsche Sprache unterscheidet begrifflich zwischen Angst und Furcht, daneben gibt es noch den etwas milderen Zustand der Sorge. Wodurch ist der Zustand der Angst aus Ihrer Sicht besonders gekennzeichnet?

Dr. Sebastian Bartoschek: Naja, wenn man der traditionellen Unterscheidung folgt, dann ist Angst etwas Diffuses, wenig Konkretes. Angst kann zu einem „Lebensgefühl“ werden, sie ist mitunter übergreifend und zudem, objektiv betrachtet, völlig irrational.

Warum ist Angst objektiv betrachtet völlig irrational? Angst um das eigene Leben in einem Kriegsgebiet beispielsweise ist doch rational? Oder nicht?

Ja, das ist rational. Und deswegen wäre, wenn man die Begriffe „Furcht“ und „Angst“ sauber differenzieren wollte, eben jenes keine Angst, sondern Furcht. Ein schönes Beispiel dafür, wieso diese Differenzierung eben zu künstlich ist.

Und wie verhält sich das zu dem, was wir Furcht nennen?

Ich glaube, Freud war es, der Furcht als „Objektangst“ benannte. Es geht also um die Angst vor einer ganz konkreten Sache, einem Ding, etwas Greifbarem. Wobei diese Trennung zwischen Angst und Furcht zum einen sehr deutsch und zum anderen eigentlich recht artifiziell ist. Aber nun gut, wenn man die Begriffe unbedingt trennen wollte, dann eben so.

Würden Sie uns denn jeweils ein Beispiel dafür nennen, wo vor Sie Angst haben bzw. sich fürchten?

Ich habe wirklich Furcht vor Wespen, in einem solchen Ausmaß, dass ich da schon den Begriff Angst wählen würde. Es gab Zeiten, da konnte ich diese Viecher noch nicht einmal ertragen, wenn ich sie im Fernsehen oder in einer Zeitschrift sah. Da habe ich mich selbst von weg-therapiert, Reizexposition, habe mich also gezwungen, mir diese Dinger im Fernsehen in Nahaufnahmen anzusehen. Das ist mittlerweile besser geworden – aber nicht gut. Darüber hinaus habe ich viele neue Ängste, seit ich Vater geworden bin. Man lernt da ja ein ganz neues Set an Gefühlen bei sich kennen.

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Wie lautet die Bezeichnung für das Gegenstück zu dem, was wir mit Angst meinen?

Das ist eine spannende Frage. Ich weiß es nicht genau. Freude, Zufriedenheit, Ruhe, Spaß. Irgendwie sowas, oder? Ich tendiere dazu, dass, da Angst ein sehr weites Feld ist, auch das Gegenteil von Angst sehr vielgestaltig ist. Auch interessant, dass wir uns darüber so viel weniger Gedanken machen, oder?

„Nerven kitzeln: Wie Angst unsere Gedanken, Einstellungen und Entscheidungen prägt“ – So lautet das Thema des populärwissenschaftlichen Symposiums 2018 des turmdersinne in Nürnberg. Mit dabei sind zahlreiche hochkarätige Referentinnen und Referenten und Sie als Moderator. Auf welches Thema unter den unterschiedlichen Vorträgen sind Sie denn besonders gespannt?

Ich bin auf die Blöcke von Gabriele Pohl und Alexander Bergmann gespannt. Frau Pohl wird als Kindertherapeutin dem Thema „Kinderängste“ nachgehen. Ich arbeite ja als Gutachter im Familienrecht und seit über 18 Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe. Da ist das richtig spannend. Und ich habe ja auch zwei Jungs, bei denen das Thema immer wieder präsent ist.

Biologiedidaktiker Bergmann kümmert sich auch um Kinder, aber um die Frage: „Angst vor Cyborgs und Gedankenlesen – wie neurowissenschaftliche Mythen die Vorstellungswelt von Schülerinnen und Schülern beeinflussen“. Ich bin ein erklärter Gegner des in Deutschland so beliebten Kulturpessimismus. Da erwarte ich mir Impulse zu.

Aus biologischer Sicht sind Furcht und Angst wichtige Komponenten unserer Gedanken und unseres Verhaltens, die uns vor möglicherweise unangenehmen oder sogar schädlichen Erlebnissen schützen. Bei Angststörungen treten Gefühle der Angst jedoch auch in völlig ungefährlichen, alltäglichen Situationen auf und erschweren den Betroffenen das Leben enorm. Gleichzeitig gibt es jedoch viele Menschen, die Lust an der Angst empfinden, schaulustig Katastrophenberichte verfolgen oder den Nervenkitzel im Extremsport suchen. Das turmdersinne-Symposium ist eines der größten populärwissenschaftlichen Events im deutschsprachigen Raum und versteht sich als Plattform für einen multidisziplinären Dialog mit der interessierten Öffentlichkeit. Mehr zum Programm: turmdersinne.de

Können Sie kurz etwas dazu sagen, wie gerade Angst unsere Gedanken, Einstellungen und Entscheidungen prägt?

So wie jedes Gefühl: ganzheitlich. Wir nehmen andere Inputs wahr, bewerten sie anders und formen aufgrund dieser Bewertungen Muster und Einstellungen. Habe ich Angst vor jungen weißen Männern werde ich am Bahnhof Gelsenkirchen vor allem die jungen Herren mit Bierdosen am Tag des Schalke-Spiels sehen, werde ihre Gesänge und Rufe als aggressiv wahrnehmen und gegen mich gerichtet interpretieren, und werde dadurch dann wieder meine Vorurteile bestätigt und gefestigt sehen.

Können Sie sich daran erinnern, wann Sie das letzte Mal unter dem Eindruck von Angst eine Entscheidung getroffen haben? Und wie sind Sie damit umgegangen?

Es ist eine triviale Sache und die passt zu der letzten Antwort: Saisonabschluss auf Schalke. Ich stehe in der Kurve, muss auf Toilette. Habe aber zum einen Angst, dass ich meine Freunde danach nicht wieder finde und zudem dass ein Tor fällt, während ich gerade nicht im Stadion bin. Dadurch achtete ich übermäßig stark auf meine Blase, hatte ein ganzes Zeitintervall weniger Spaß am Spiel, trank kein Bier um nicht noch größeren Druck zu haben und bin dann schließlich nach Abpfiff fast schon mit Schmerzen auf Toilette. Das mag jetzt total trivial erscheinen, aber es ist meines Erachtens wichtig zu verstehen, wie allgegenwärtig Gefühle und darauf aufbauende Urteile sind.

Studien zufolge leiden bis zu über zehn Millionen Menschen in Deutschland unter einer Angststörung. Frauen und unter 35-Jährige leiden anscheinend überdurchschnittlich oft daran. Foto: BillionPhotos / Fotolia.com

„Angst und Gesellschaft“ – so heißt die Liveshow beim turmdersinne-Symposium mit den Machern des Podcasts Soziopod Nils Köbel und Patrick Breitenbach. Sie haben in jungen Jahren einmal für die Boulevard-Zeitung BILD gearbeitet. Würden Sie sagen, dass die BILD manchmal mit den Ängsten in der Gesellschaft spielt?

Nein. BILD nimmt Ängste ernst oder geht ihnen nach. Viel BILD-Kritik versucht dann diese Ängste lächerlich zu machen, oder so zu tun, als wären sie nicht vorhanden. Kann man natürlich machen, ist nur eben unsinnig und hilft den Geängstigten überhaupt nicht.

Stichwort faire Berichterstattung. Ich hätte bisher von mir behauptet, eine generelle Angst davor zu haben, einmal in die BILD-Schlagzeilen zu geraten und ich vermute, das geht nicht nur mir so. Liegt das eher an mir oder den Blattmachern?

Nun ja, wie wir gesehen haben, ist Angst ja etwas Irrationales. Damit liegt es wohl an der Amygdala, einem der Gefühlszentren unseres Körpers. Denn objektiv gilt: Eine Schlagzeile ist eine Schlagzeile – und die Zeiten, in denen eine unberechtigte Schlagzeile desaströs sein kann, sind in aller Regel vorbei.

Welche Rolle spielt in Ihren Augen das Phänomen Religion bei dem Themenkomplex Angst und Furcht?

Meines Erachtens ist ein Hauptzweck von Religion, den Menschen Angst zu nehmen. Historische Religionen erklärten Unerklärbares, wie Naturphänomene, durch das Wirken übersinnlicher Wesen. Alle Religionen versuchen, die Angst vor dem Tod zu nehmen bzw. zu lindern. Das ist zunächst einmal ein großer Verdienst von Religionen. Aber: Religionen machen auch selbst Angst, bspw. mit Vorstellungen wie der von unerfreulichen Orten, an die man gelangt, wenn man das Verhaltensset der jeweiligen Religion nicht erfüllt.

Nerven kitzeln: Wie Angst unsere Gedanken, Einstellungen und Entscheidungen prägt Den vielen Facetten von Bedrohungs- und Sicherheitsempfinden widmen sich in Vorträgen, Präsentationen und Diskussionen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen. Tickets für das Symposium vom 12. bis 14. Oktober 2018 gibt es unter shop.turmdersinne.de – Noch bis zum 31. Juli mit Frühbucherrabatt.

Würden Sie uns zum Abschluss noch einen kurzen psychologischen Pauschalratschlag geben können, wie wir generell besser oder klüger mit unseren Ängsten umgehen können?

Ich möchte da aus Frank Herberts „Dune“ zu zitieren, das ist das Beste, was ich je zum Thema gelesen habe: „Ich darf keine Angst haben. Angst tötet das Bewusstsein. Angst ist der kleine Tod, der zu völliger Zerstörung führt. Ich werde meiner Angst ins Gesicht sehen. Sie soll mich völlig durchdringen. Und wenn sie von mir gegangen ist, wird nichts zurückbleiben. Nichts außer mir.“

Das ist der harte Weg, aber er funktioniert.

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