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Gläserne Wände - Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland

Bayern

Das ist höchst beunruhigend und nicht gesund, Herr Spahn!

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich in der ZEIT-Beilage Christ & Welt für das Aufhängen des religiösen Symbols seiner Glaubensgemeinschaft in staatlichen Amtsstuben ausgesprochen. Dazu habe ich nicht nur eine klare Meinung, sondern auch einen Vorschlag.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich in der ZEIT-Beilage Christ & Welt für das Aufhängen des religiösen Symbols seiner Glaubensgemeinschaft in staatlichen Amtsstuben ausgesprochen. Kirchenvertreter kritisierte er für deren Kritik am Beschluss des bayerischen Ministerrats, Kreuze in allen Dienstgebäuden aufhängen zu lassen. Dazu habe ich nicht nur eine klare Meinung, sondern auch einen Vorschlag.

Im Interview für die ZEIT-Beilage Christ & Welt sagte jetzt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, er fände es auch für Atheisten oder Andersgläubige „beruhigend, in einer Amtsstube auf ein Selbstverständnis zu treffen, das allen Menschen die gleiche Würde zuspricht.“ Er bezeichnete es als „irritierend, wenn hohe Kirchenvertreter plötzlich Anstoß nehmen am Kreuz“, so Spahn. „Ich finde es gut, wenn zur Abwechslung mal Kreuze auf- statt abgehängt werden“, so der Minister.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn denkt ein paar Kilometer zu kurz. Foto: © dpa / Oliver Berg

Zuvor hatte es auch von offiziellen Stellen auf Seiten der Kirchen kritische Stimmen zum umstrittenen Beschluss des Landeskabinetts unter Bayerns Ministerpräsident Söder gegeben, Kreuze im Eingangsbereich aller Dienstgebäude im Freistaat aufhängen zu lassen. „Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden“, sagte Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Es stünde dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeute. Und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) Thomas Sternberg bezeichnete die Aktion als „Wahlkampf-Gag“.

Von Seiten des Humanistischen Verbandes Bayern war Söders Kreuze-Erlass mit scharfer Kritik begegnet worden. Ein „inakzeptabler Bruch des Neutralitätsgebots“ wurde der Beschluss genannt. Als alle Bürgerinnen und Bürger verbindend könne das Kreuz nicht wirken. „Für uns ist das christliche Kreuz kein Symbol gemeinsamer Werte. Selbstbestimmung, Freiheit und Toleranz werden weder durch Kreuz noch Kruzifix verkörpert, genau so wenig wie die Ideale von Aufklärung und Humanismus“, hieß es weiter, und „Zwangskruzifixe in Dienstgebäuden seien nicht mehr als der untaugliche Versuch der Regierung, die Unsicherheit der eigenen politischen Zukunft zu übertünchen.“

Vier Worte bilden einen Grundsatz moderner Demokraten

Man muss nunmehr hoffen, dass des Gesundheitsministers Spahn politische Zukunft mindestens so unsicher ist wie die seines bayerischen CSU-Kollegen, der vor Ort mit schwächelnden Umfrageergebnissen kämpft. Denn braucht unser Land einen Gesundheitsminister, der über Fragen der Trennung zwischen Staat und Religion räsoniert – und dies offenbar ohne Kenntnis elementarster Verfassungsgrundsätze?

Egal, ob gläubig oder nicht, vier Worte bilden einen Grundsatz moderner Demokratinnen und Demokraten: Es besteht keine Staatskirche. So heißt es in Absatz 1 von Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung, die über Artikel 140 ein Teil unseres Grundgesetzes ist. Religiöse und weltanschauliche Neutralität und Äquidistanz des Staates zu allen Religionen bilden einen Grundpfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die die Bundesrepublik Deutschland auch aus nichtreligiöser Perspektive in positiver Weise abheben von den religiös-repressiven Autokratien, von denen es immer noch zu viele auf der Erde gibt.

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Zu laut soll das Lob hier nicht ausfallen. Denn wer genauer hinschaut, sieht auch hierzulande: Menschen, die keiner Kirche oder anderen etablierten Glaubensgemeinschaft angehören, sehen sich in teils existenziell relevanten Lebensbereichen heute noch als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse.

Und nun kommt ein Bundesminister, der seine Unkenntnis oder seine willentliche Ignoranz in Bezug auf zentrale Verfassungsgrundsätze offenbar unverschämt in einem konfessionell orientierten Blatt präsentiert, wohl in der Hoffnung, diese Äußerungen mögen sein Ansehen beim Publikum heben. Ein Minister, der sich sogar mit der Behauptung entblößt, es könne auch für Nichtreligiöse beruhigend sein, in einer Amtsstube ein Kreuz hängen zu sehen.

#nichtmeingesundheitsminister

Nein, werter Herr Minister Spahn, so etwas ist kein bisschen beruhigend für die meisten Menschen mit atheistisch oder agnostisch geprägtem Denken! Als ein Bürger mit humanistischen Auffassungen empfinde ich Kreuze in staatlichen Gebäuden als äußerst besorgniserregend: ob in irgendeiner Amtsstube, in Ministerien oder Schulen – und ganz besonders in Gerichtsgebäuden. Und dies nicht, weil ich der christlichen Religion besonders ablehnend gegenüberstünde, deren Glaubenssätze für mich schlicht und einfach nicht nachvollziehbar oder sinnstiftend sind.

Sondern: Weil nicht nur viel Schrecken in der europäischen Geschichte und gerade auch aktuelle Beispiele aus anderen Ländern von heute zeigen, welche Folgen die Politisierung und die politische Instrumentalisierung von Religion haben kann. Und nichts anderes zeigt sich in Söders Kreuze-Erlass – weshalb auch des ZdK-Präsidenten Sternberg gewählte Einstufung als „Wahlkampf-Gag“ im Grunde keine witzige Formulierung ist. Seine christlichen Glaubensgenossinnen und -genossen in anderen Ländern haben oft wenig zu lachen, weil es in ihrer Heimat eine Staatsreligion gibt, und Nichtreligiöse ebenso.

„Religion ist das Irrationale, Politik auf diesem Feld braucht gerade deshalb Vernunft. Wahlkampf ist eine schlechte Ausrede für Kulturkampf. Und Kulturkampf ist Wahnsinn.“ – aus einem Kommentar von Christiane Florin, leitender DLF-Redakteurin für „Religion und Gesellschaft“. Hier können Sie ihren Kommentar direkt nachhören. Zum Beitrag auf deutschlandfunk.de…

Nein, Herr Minister, Ihre Kreuze in den Amtsstuben sind keinesfalls beruhigend. Denn sie sind nicht nur kein allgemeines kulturelles, sondern ein ganz spezifisches Symbol, wie Ihnen die Fachleute kirchlicher- wie kirchenfernerseits hoffentlich beizeiten nahebringen können. Und als Bürger und Steuerzahler habe ich den Anspruch, von staatlichen Stellen unbesehen meiner weltanschaulichen Auffassungen behandelt zu werden, sofern meine Handlungen nicht Grundrechte meiner Mitmenschen beeinträchtigen.

Es besteht keine Staatskirche: Das ist ein verfassungsrechtlich verbürgtes Grundvertrauen, das ich und alle Menschen hier dem Staat entgegenbringen können müssen, um sich als gleichberechtigte Demokraten in einer Demokratie fühlen zu können. Kreuze in oder an Amtsgebäuden lassen das Vertrauen darauf erodieren und können es sogar zerstören. So wie Ihre Äußerungen nun schon meinen Glauben daran zerstört haben, dass Sie als Minister sich im Grundgesetz gut genug auskennen. Ein Minister ohne Basis-Grundgesetzwissen, das ist nicht gesund für unseren Staat.

Denken Sie mal bitte ein paar Kilometer weiter

Und: Kreuze in deutschen Amtsstuben sollten auch für treue Kirchen- und Glaubensangehörige aus Ihren eigenen Reihen keinesfalls beruhigend wirken. Denn denken Sie bitte mal ein paar Kilometer weiter: Wenn Sie und Herr Söder sich als Vorbild deutscher Staats- und Kulturfrömmigkeit präsentieren wollen, um mal wieder Ihren Namen, Ihren Glauben, Ihre Identität oder sonst irgendetwas ins öffentliche Gespräch zu bringen, kann das zu auch aus christlicher Sicht wenig erfreulichen Ergebnissen führen. In einer globalisierten und hochvernetzen Welt kann jede Nachricht an jeden Ort der Welt gelangen. Was sich die Machthaber in einigen Ländern wohl denken, wenn diese die Nachricht erreicht, dass in einem Land unter den hochentwickeltsten Nationen Kreuze in Amtsstuben hängen, können Sie sich hoffentlich ausmalen. Nur – da prangt dann halt kein Kreuz, sondern etwa der Halbmond über den Köpfen der christlichen und anders- oder nichtreligiösen Minderheiten. Ist es das, was Sie wollen?

Zuletzt: Ein großer Fan des Bundesadlers sind Sie anscheinend nicht, wie Ihre Sympathien für Kreuze in Amtsstuben nahegelegt haben. Und auch ich habe Zweifel, ob so ein doch recht maskulines Symbol die offenbar vorhandenen „Freiheit-Gleichheit-Geschwisterlichkeits“-Kultur-Symbolisierungsbedürfnisse auf ministerieller und allgemeingesellschaftlicher Seite zeitgemäß befrieden könnte. Vielmehr – mit Blick auf die Konsorten rechts von CDU und CSU erscheint der Bundesadler sogar als ziemlich ungeeignet, wenn man nicht vom söderschen Kreuze-Regen in die Nazi-Traufe des Bernd Höcke kommen will.

Darum ein Vorschlag. Es gibt da einen ganz besonderen Satz: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“

Klingt doch wirklich ganz gut, oder? Der Satz ist aus Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und da finden Sie noch viele weitere Artikel voll guter Ideen und Werte-Orientierungen. Und unter denen haben sich bis heute schon Millionen Menschen unterschiedlichsten Glaubens versammelt. Kommen Sie vielleicht dazu? Und, für etwaige Amtsstubenschmücklust eventuell nicht ganz unwichtig, für das Ganze gibt es sogar ein Symbol:

Die iranische Juristin Shirin Ebadi, erste iranische Richterin und Menschenrechtsaktivistin. Sie erhielt 2003 als erste muslimische Frau den Friedensnobelpreis und lebt seit Ende 2009 im Exil in Großbritannien. Foto: Human Rights Logo

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